Ein Sonntagnachmittag im winterlichen Frankfurt: Es ist trüb, kalt, und alle Kaufhäuser und Geschäfte haben geschlossen. Nur in einem kleinen Laden im Souterrain eines Frankfurter Wohnhauses herrscht reger Betrieb: Kinder stehen mit großen Augen vor den Süßigkeitenregalen, während ihre Eltern aufmerksam die Aufschrift auf der Verpackung des gefrorenen Geflügels lesen oder Weinetiketten begutachten. Russisch, Hebräisch und Deutsch – in dem kleinen Laden mischen sich alle Sprachen. Fast jeder kennt jeden, und es gibt kaum einen Kunden, der nicht mit einem großen Hallo begrüßt wird.
Seit dem 2. Januar hat Frankfurts jüdische Gemeinde mit dem koscheren Laden »Migdal« einen neuen Treffpunkt. Das Geschäft von André Moev und Zohar Rapaport ist in fast eineinhalb Monaten von den Gemeindemitgliedern, aber auch von der nichtjüdischen Nachbarschaft im Ost-end sehr gut angenommen worden.
Dabei ist noch nicht einmal alles fertig. »Demnächst werden wir auch frische Ware wie Obst, Gemüse und Eier in unser Sortiment aufnehmen«, erzählt André Moev. Er sitzt an der Kasse – von dort aus hat er den besten Überblick: Über den Rand seiner schmalen Lesebrille sieht er sofort, wenn ein Kunde etwas sucht oder eine Frage hat.
Der gebürtige Moskauer hat zehn Jahre lang den Sicherheitsdienst im Max-Willner-Heim der Zentralwohlfahrtsstelle in Bad Sobernheim geleitet. Sein Geschäftspartner, Zohar Rapaport, betreibt seit vielen Jahren ein Hotel. Seit Kurzem hat er auch die Mensa in der I. E. Lichtigfeld-Schule übernommen. Er ist es, der vor allem für den Ankauf der koscheren Lebensmittel zuständig ist, denn damit kennt er sich aus. Schließlich war er zwei Jahre lang der Maschgiach im Max-Willner-Heim.
Marktlücke Im rheinland-pfälzischen Bad Sobernheim haben sich die beiden Männer kennen-, schätzen und vor allem einander vertrauen gelernt. Ideale Voraussetzung für eine Geschäftspartnerschaft. Irgendwann kam ihnen dann die Idee, ei-nen koscheren Laden zu eröffnen. Frankfurt, die Stadt der Messen und der Banken und Heimat der zweitgrößten jüdischen Gemeinde Deutschlands, tat sich in der Vergangenheit mitunter etwas schwer mit koscheren Lebensmitteln.
So konnte man koschere Produkte ausschließlich in einem Edeka-Markt im Ostend – der dafür eine spezielle Abteilung eingerichtet hat – kaufen. Insofern haben Moev und Rapaport eine Marktlücke am Main geschlossen. »Wir sind ein Familienbetrieb«, sagt André Moev. »Zohars Frau macht die Buchhaltung, und meine Tochter hilft im Laden mit aus.« Große Unterstützung finden die beiden außerdem in der Gemeinde. Rabbiner Avichai Apel, mit dem sie damals als Erstes über ihren Plan sprachen, einen Laden zu eröffnen, war sofort begeistert und versprach zu helfen.
Er hielt sein Wort. Denn der Wohnblock in der Frankfurter Saalburgallee, in dessen Souterrain Migdal eröffnet hat, gehört der Gemeinde. Die half dann auch bei der Renovierung des Ladenlokals und ließ beispielsweise auf eigene Kosten neue elektrische Leitungen verlegen.
Das Konzept für den koscheren Laden umreißt André Moev so: »Wir wollen es den Leuten ermöglichen, sich koscher zu ernähren, ohne dass sie immens viel Geld dafür ausgeben müssen.« Das bedeute natürlich, dass die Gewinnmargen nicht beson- ders hoch ausfielen.
Vor allem das Fleisch, das Migdal anbietet, ist verhältnismäßig erschwinglich: Rinderhackfleisch gibt es beispielsweise für 12,50 Euro pro Kilo, Hähnchenfilet kostet 12 Euro, das ganze Hähn- chen 5,50 Euro je Kilo. Auf jeder tiefgefrorenen Fleischpackung findet sich ein Siegel, das bezeugt, dass es sich um ein nach der Kaschrut hergestelltes Erzeugnis handelt. »Wir beziehen unser Fleisch aus Straßburg, Amsterdam und Litauen«, erläutert Moev. Einen Einkauf aus Ungarn planen sie derzeit noch. Traubensäfte und Milch stammen aus Frankreich, ebenso ein Teil des umfangreichen Weinsortiments, das aber vor allem aus Israel bezogen wird. Auch viele russische Produkte werden angeboten.
Kundschaft Inzwischen haben Aviva und ihre Mutter den Laden betreten. Zielstrebig steuert die Zwölfjährige das Regal mit den Süßigkeiten an: »Für meine Freunde in der Schule«, sagt sie und packt den Einkaufskorb voll mit sauren Fruchtgummischlangen, Kaugummis und Bonbons.
Ihre Mutter hat unterdessen eine Packung Pralinen in die Hand genommen. »Das ist eine traditionelle russische Spezialität«, erklärt sie, »vor allem meine deutschen Freunde mögen sie sehr. Aber das soll koscher sein?« Ein fragender Blick zu André Moev, und der kann es beweisen: In einer Mappe hat er fein säuberlich eine Reihe von Zertifikaten abgeheftet, die zweifelsfrei belegen, dass die russischen Süßigkeiten genauso koscher sind wie die italienischen Nudeln, die es bei Migdal ebenfalls zu kaufen gibt.
Mit der Ladeneröffnung ist Moev in gewisser Weise zu seinen Ursprüngen zurückgekehrt. Denn als der ausgebildete Journalist vor 27 Jahren in Deutschland ankam, bot ihm die Gemeinde eine Wohnung an, die er sofort bezog. Die Adresse in der Saalburgallee war die, in der sich heute sein koscheres Geschäft befindet.
www.migdal-frankfurt.de