Unter dem Motto »Zwischenmenschliche Beziehungen in Judentum, Film und Psychologie« hatten der Bund traditioneller Juden (BtJ), Morasha Germany, BTJ Match und das jüdische Gemeinde- und Kulturzentrum Shalom Europa am vergangenen Wochenende nach Würzburg eingeladen. Welche Stadt wäre dafür besser geeignet als »eine der romantischsten Städte in Bayern«, fragte Alexander Schiff bei der Stadtführung nicht ohne Stolz auf seine Heimatstadt. Schiff gehörte zum großen Organisationsteam, das das Event ermöglichte und begleitete.
Rund 100 Teilnehmer aus ganz Deutschland näherten sich den Themen rund um Partnerschaft, Sexualität, die Rolle des Mediums Film – und wie das Judentum darin vorkommt – aus unterschiedlichen Perspektiven an. Die Referenten Lisa Aiken und Emanuel Cohn versuchten, Antworten auf Fragen zu geben und Gespräche anzuregen. Zum Beispiel mit provozierenden Thesen, ob Religion und Sexualität überhaupt zusammenpassen und die Fragestellung im Judentum ebenso tabuisiert ist wie im Christentum. Oder ob die talmudische Geschichte über einen Jeschiwa-Studenten, der eine Prostituierte liebt und heiratet, nicht einen Tabubruch darstellt.
Orthodox Entsprechend deutlich fielen auch die Fragen aus. »Ist es nicht besser, sexuell erfahren zu sein, bevor man heiratet?« oder »Ist es gut, vor der Hochzeit zusammenzuleben?«, wollten Teilnehmer wissen. Aiken erzählte von ihren Erfahrungen, die sie als orthodoxe Psychologin und Beziehungsberaterin in den USA und Jerusalem gemacht hat, und gab dem aufmerksam zuhörenden Publikum Tipps für eine bessere Kommunikation und ein erfülltes Zusammenleben von Paaren.
»Gott hat nichts Schlechtes geschaffen«, zitierte Aiken Nachmanides (1194–1270), einen der größten jüdischen Gelehrten des mittelalterlichen Spanien, und machte anhand seiner Ansichten zu Partnerschaft deutlich, dass Liebe und Sexualität einen festen Platz im Judentum haben. Nichts ist somit so heilig wie die intime Beziehung zweier (Ehe-)Partner, denn hier spiegelt sich die besondere Beziehung zwischen Gott und dem Volke Israel wider.
Konzepte Mitunter wurden einige Konzepte des orthodoxen Judentums hinterfragt und kritisiert, wie zum Beispiel die strikte Geschlechtertrennung und ihre Auswirkungen auf junge Paare. Eine besondere Kontroverse rief die besagte (Liebes-)Geschichte aus dem Babylonischen Talmud zwischen einem Jeschiwa-Studenten und einer Prostituierten hervor. In der letzten Sekunde erinnerte sich der Student an seine religiösen Lehren und Pflichten und überzeugte seine Partnerin, zum Judentum überzutreten. Diese gelebte Moral machte es schließlich möglich, dass die beiden heiraten konnten.
Während viele männliche Diskutanten die Motive der Protagonisten und ihr Handeln eher positiv betrachteten, hinterfragten die Frauen ebendiese kritisch. Allerdings zeigte diese Geschichte auch, dass sich bereits die jüdischen Quellen solcher heiklen Themen annahmen und gleichzeitig immer Auswege anboten.
»Die Informationen waren nicht unbedingt neu, aber viele dieser Dinge wie die Kommunikation gehen verloren.« Im Alltag weiche man doch häufig unangenehmen Diskussionen aus, verschiebe sie auf später oder vernachlässige sie ganz. Auch die Liebe und Beziehungen litten unter dem Alltag, fasst Oleg Boruch Ioffe von der Jüdischen Gemeinde in Weiden die Problematik zusammen.
Medien Wie die jüdisch geprägte, aber lange als antireligiös empfundene Psychologie von immer mehr orthodoxen Juden (besonders Frauen) entdeckt wird, so sei auch das Medium Film kein Neuland oder Tabu mehr, erklärte der aus Basel stammende Filmemacher und Schauspieler Emanuel Cohn. Eindrucksvoll veranschaulichte Cohn dies an den Kurzfilmen Sheva Brachot und The Orthodox Way, die Beziehungsprobleme und Dating unter jungen orthodoxen Juden behandelten und die Teilnehmer sowohl erheiterten als auch nachdenklich stimmten.
Insbesondere der tiefgründige Film Sheva Brachot um die Angst eines jungen Ehemannes vor dem sexuellen Kontakt mit seiner Frau regte viele zum Nachdenken an. Medien wie Filme übten starken negativen wie auch positiven Einfluss auf die zwischenmenschlichen Beziehungen aus, betonten Aiken und Cohn übereinstimmend.
Trotz der zahlreichen ernsten Themen wurde am Schabbaton-Wochenende auch viel gefeiert, gesungen und gelacht. Die Teilnehmer konnten selbst aktiv werden und gemeinsam mit den Lektoren, Rabbinern und Veranstaltern beim Improvisationstheater ihre Spielfreude unter Beweis stellen. Mitunter wurde die eine oder andere klassische Szene einer Freundschaft und Beziehung nachgestellt. Ein besonderes Highlight war die Vorführung von Emanuel Cohns neuestem Kurzfilm Der kleine Diktator über einen vom Leben und Alltag geplagten Professor für totalitäre Regime, der zu Schabbat und zeitgleich dem Geburtstag der Oma ein »haariges Problem« bekommt. Emanuel Cohn stand dafür vor und hinter der Kamera.
Atmosphäre »Der Film hinterließ eine warme Atmosphäre und zeigte, wie man sich gut aus schwierigen Situationen befreien kann«, freute sich Oleg Boruch Ioffe. »Das war der beste Schabbaton seit Langem«, resümierte der BtJ-Vorsitzende Michael Grünberg hochzufrieden. Bei den tollen Rednern und gewichtigen Themen »gibt es kaum jemanden, der nichts gelernt hat«, fügte Grünberg lachend hinzu.
Auch die Teilnehmer zogen ein rundum positives Fazit des Schabbaton. »Die Themen fand ich sehr interessant, und das Programm war unterhaltsam« erläutert Yaniv, Teilnehmer aus München. »Die Diskussionen waren viel spannender, als ich dachte, und auch der Film hat mir sehr gefallen«, ergänzte Diana aus Würzburg. »Obwohl ich schon lange hier wohne, habe ich etwas Neues in Würzburg entdeckt!«