Mainz

Trauer um Susanna

Rabbiner Aharaon Ran Vernikovsky wirkt äußerlich gefasst, und dennoch muss er eingestehen: »So etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nie erlebt und möchte es auch nie wieder erleben.« Ein junges Mitglied seiner Gemeinde, Susanna F., ist vergewaltigt und ermordet worden. Am Mittwoch vergangener Woche fand die Polizei ihre Leiche in einem schwer zugänglichen Gelände an einem Bahndamm bei Wiesbaden-Erbenheim. »Es ist eine Tragödie für die Familie, aber auch für uns alle«, sagt Vernikovsky.

Im Schabbatgottesdienst sei er auf die Schreckenstat eingegangen, sagt der Rabbiner. Wie man damit umgehe, das könne er jedoch nach wie vor nicht sagen. »Ich weiß nicht, ob es für so etwas überhaupt die richtigen Worte gibt«, sagt Vernikovsky. »Hier ist ein Punkt erreicht, wo der Rabbiner mit seinem normalen Wissen, mit seinem normalen rabbinischen Werkzeug überfordert ist. Wo Menschen mit Fachwissen helfen müssen. Aber trotzdem versuche ich, versuchen wir nach bestem Wissen und Gewissen zu helfen, wo wir können.«

mutter Derzeit sei es wichtig, einfach da zu sein. Vernikovsky ist im ständigen Kontakt mit der Mutter und der Großmutter der getöteten Susanna F. sowie ihrer jüngeren Schwester. Vom Gemeindezentrum in der Mainzer Neustadt fährt er immer wieder zu der Familie.

Als eher unauffällig beschreibt der Gemeinderabbiner die Jugendliche. Ab und zu seien ihre Mutter und ihre Großmutter, die vor einigen Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion zugewandert sind, zu Veranstaltungen in die Gemeinde gekommen. Im Jugendzentrum habe er Susanna nicht erlebt. Die Gemeinde, Freunde und Bekannte sind fassungslos über den Tod der 14-Jährigen und zeigen viel Solidarität.

»Die Menschen rufen nicht nur bei uns in der Gemeinde an, sondern auch bei Freunden, um zu helfen«, sagt Vernikovsky. Im Internet habe er einen Aufruf zu einer Spendenaktion für die Familie gesehen. Die Mutter werde psychologisch betreut. »So, wie es wohl die Polizei nach einem solchen Gewaltverbrechen einleitet«, erklärt der Rabbiner.

Kerzen Auch die Ortsvorsteherin des Mainzer Stadtteils, in dem Susanna wohnte, drückte ihr Mitgefühl aus. Vor dem Haus, in dem die Familie lebt, haben Nachbarn Kerzen aufgestellt und Blumen abgelegt, schreibt die Tageszeitung »Die Welt«. »Die Familie war bekannt.« Das Verbrechen habe viele Menschen vor Ort geschockt. »Es ist schrecklich.«

Das gesamte Umfeld sei fast starr vor Entsetzen, andererseits müsse viel erledigt werden, sagt Rabbiner Vernikovsky. Das Judentum sieht eine rasche Beerdigung vor, dennoch mussten die Gerichtsmediziner noch wichtige Untersuchungen durchführen – eine Obduktion, wie nach einem Gewaltverbrechen üblich, auf der Suche nach DNA-Spuren, die nähere Erkenntnisse über den Tathergang erbringen können. Auf die zeitliche Abfolge habe man keinen Einfluss gehabt, sagt der Rabbiner. Am Dienstag wurde Susanna beerdigt. Zu der Trauerfeier auf dem Jüdischen Friedhof in Mainz seien rund 100 Menschen gekommen, teilte eine Sprecherin des Polizeipräsidiums mit.

Auch der Zentralrat der Juden hatte mit tiefer Betroffenheit auf die Nachricht vom Gewaltverbrechen an der 14-jährigen Susanna reagiert. »Einem jungen Leben wurde auf grausame Weise ein Ende gesetzt. Unser tiefes Mitgefühl gilt den Angehörigen und Freunden«, hieß es in einer Pressemitteilung. Der Zentralrat forderte gleichzeitig »von den Strafverfolgungsbehörden eine rasche und umfassende Aufklärung sowie harte Konsequenzen für den oder die Täter«. Voreilige Schlüsse oder Spekulationen verböten sich jedoch, hieß es weiter.

Kundgebung Rund 150 Menschen nahmen am Montagabend in der Mainzer Innenstadt an einer Trauerkundgebung für die ermordete Schülerin teil. Sie folgten einem Aufruf des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und versammelten sich bei Dauerregen auf dem Platz vor dem Mainzer Gutenberg-Denkmal. Nur wenige Meter entfernt standen sich vor dem Dom rund 25 Demonstranten der rechtsgerichteten Initiative »Kandel ist überall« mit Deutschlandfahnen in den Händen und etwa 100 lautstarke linke Gegendemons­tranten gegenüber.

Auf dem Gutenbergplatz sagte der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD), zunächst gehe es jetzt darum, Trauer und Menschlichkeit zu zeigen. Für Diskussionen über politische Konsequenzen sei noch nicht die Zeit. Die Menschen in Mainz empfänden Schmerz und Wut über die Brutalität des Verbrechens. Allerdings gebe es viele Fragen in dem Fall, die beantwortet werden müssten, etwa die, warum die Familie des Tatverdächtigen Deutschland so leicht verlassen konnte.

Der evangelische Mainzer Dekan Andreas Klodt sagte, er sei sich sicher, dass die Gesellschaft über genug Kraft und Emotio­nen verfüge, um »diesem schrecklichen Sterben etwas entgegenzusetzen«. Zur Teilnahme an der DGB-Mahnwache hatte auch die Kirche aufgerufen.

Der als dringend tatverdächtig geltende 20-jährige Iraker Ali B. war in der Nacht zum Freitag vergangener Woche von Sicherheitsbehörden der kurdischen Autonomieregierung in Erbil im Nordirak festgenommen und in die Bundesrepublik gebracht worden. Bundesinnenminister Horst Seehofer, der die Festnahme als Erster verkünden konnte, betonte: »Dieser Erfolg ist Ergebnis der guten Zusammenarbeit zwischen den kurdischen Sicherheitsbehörden im Irak und der deutschen Bundespolizei.«

auffälligkeiten Ali B., dessen Name laut Medienberichten bereits im Zusammenhang mit der Vergewaltigung eines elfjährigen Mädchens gefallen sein soll, war offenbar schon früher unter anderem mit Pöbeleien und Prügeleien aufgefallen. Die Vorwürfe im Zusammenhang mit der Elfjährigen habe die Polizei aber nicht erhärten können, hieß es in Medienberichten, die sich dabei auf den Wiesbadener Polizeipräsidenten Stefan Müller berufen.

Inzwischen habe Ali B. einer Ermittlungsrichterin den Mord gestanden. Er und Susanna hätten Alkohol und Tabletten zu sich genommen und gestritten, dabei sei Susanna gestürzt, habe sich Verletzungen im Gesicht zugezogen und gedroht, die Polizei zu rufen. Aus Angst vor Entdeckung habe er die 14-Jährige gewürgt. Eine Vergewaltigung jedoch bestritt Ali B. laut Medienberichten. Der 20-jährige Iraker war 2015 nach Deutschland gekommen, sein Asylantrag sei jedoch Ende 2016 abgelehnt worden, dagegen habe er geklagt, was seine Abschiebung verzögerte.

Hinweis Der entscheidende Hinweis auf die mutmaßlichen Täter kam nach Medienberichten von einem 13-jährigen Jungen, der ebenfalls in der Flüchtlingsunterkunft wohnte, wo Ali B. untergebracht war. Der Zeuge hatte den Ermittlern berichtet, Ali B. habe ihm von der Tat persönlich erzählt, schreibt »Die Welt«. Zuvor hatte die Polizei tagelang vergeblich mit einem Großaufgebot von Beamten, Hunden und einem Hubschrauber nach dem vermissten Mädchen gesucht.

Inzwischen versucht Rabbiner Vernikovsky, mit der Tat irgendwie umzugehen. »Noch war gar nicht genügend Zeit, darüber nachzudenken oder sich von irgendwo selbst Hilfe zu holen.« Er spricht schnell und präzise, doch es ist ihm anzumerken, dass auch er Unterstützung brauchen wird. (mit epd)

Frankfurt/Main

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