Die Synagoge Hohe Weide im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel fällt normalerweise nicht sonderlich auf. An diesem kalten Montagabend aber sieht man schon von Weitem kleine Gruppen auf das Gebäude zustreben. Auf der Straße hört man Hebräisch, und das Gotteshaus ist einladend erleuchtet. Der Anlass ist die Amtseinweihung von Shlomo Bistritzky als Landesrabbiner der Stadt Hamburg. In der Synagoge huschen eifrige Platzanweiserinnen zwischen den Stühlen hin und her.
Orthodoxe Juden sind im Stadtbild Hamburgs eher ein ungewohnter Anblick, doch hier sind gleich mehrere Reihen belegt von bärtigen Männern in schwarzen Anzügen und Hüten. Das hat seinen Grund, denn Rabbiner Bistritzky als Lubawitscher Gesandter ist selbst orthodox.
Auch bei der Auswahl des Rabbiners sei es in Hamburg Tradition, einem orthodoxen Kollegen den Vorrang einzuräumen, betont der Vorstandsvorsitzende der Gemeinde Bernhardt Effertz in seiner Ansprache.
wartezeit Die Synagoge ist so gut gefüllt, wie selten in den vergangenen Jahrzehnten. Das liegt unter anderem auch daran, dass die Stadt Hamburg seit drei Jahren ohne einen Landesrabbiner auskommen musste. 2008 trennte sich die Gemeinde vom damaligen Rabbiner Dov-Levy Barsilay, es folgten Auseinandersetzungen und Streitigkeiten, die verhinderten, dass der Posten neu besetzt werden konnte.
Nachdem die Auseinandersetzungen zwischen Barsilay und der Gemeinde beigelegt worden waren und im Sommer 2011 ein neuer Vorstand gewählt wurde, war der Weg frei für einen neuen Landesrabbiner. Die Wahl fiel dabei auf Shlomo Bistritzky von der Chabad Lubawitsch Bewegung. Der stellvertretende Gemeindevorsitzende Philipp Stricharz ist mit der Entscheidung sehr zufrieden: »Rabbiner Bistritzky als Landesrabbiner auszuwählen drängte sich sozusagen auf, in Anerkennung seiner Verdienste und weil wir als jüdische Gemeinde in Hamburg ihn persönlich seit Jahren kennen und schätzen.«
Der 34-jährige Bistritzky, der seit 2003 mit seiner Frau Chani und sechs gemeinsamen Kindern in Hamburg lebt, ist ohnehin auch familiär eng mit der Hansestadt verbunden. Seine Familie stammt aus Hamburg, sein Großvater war vor dem Krieg auf die gleiche Schule gegangen, die Shlomo Bistritzky vor einigen Jahren neu eröffnete und an der seine Frau lehrt. Diese Zusammenhänge erwähnten auch die zahlreichen Redner, unter denen war auch der israelische Oberrabiner Jona Metzger, der zum ersten Mal Hamburg besuchte.
Würde Der israelische Oberrabbiner wurde für hanseatische Verhältnisse nahezu überschwänglich begrüßt. Metzger nannte Hamburg den »natürlichsten Ort der Welt« für Bistritzkys Wirken. Der Landesrabbiner lauschte den Ansprachen sehr ernsthaft und in sich gekehrt, fast, als würde der junge Rabbiner mit den ergrauten Schläfen Kraft sammeln für die bevorstehenden Aufgaben.
Beeindruckend war die Rede von Moshe Kotlarsky von Chabad Lubawitsch International. Der Familienfreund aus New York betonte mit dröhnender Stimme und hartem Brooklyn-Dialekt die Besonderheit, 76 Jahre nach dem Holocaust in Deutschland eine solche Feier besuchen zu können.
»Die Nazis haben die Juden mit Hass verfolgt, unsere Mission ist es, jeden einzelnen mit Liebe zu erreichen«, sagte Kotlarsky, der die Familie seit vielen Jahren aus der amerikanischen Diaspora kennt. Er gab Bistritzky mit auf den Weg »ein Vater, Bruder und Vertrauter für jeden in der Gemeinde zu sein«. Gerade darin wird für den neuen Landesrabbiner die Schwierigkeit liegen, denn die Hamburger Gemeinde besteht aus sehr vielen unterschiedlichen Denkweisen und Richtungen.
Emotionen Philipp Stricharz erhofft sich von Bistritzkys »herzlicher und souveräner Art vor allem einen Eintritt vieler ehemaliger Mitglieder, aber auch zugereister Juden in unsere Gemeinde«. Und auch Bistritzky selbst betonte in seiner emotionalen Rede, in der er noch einmal seines Vaters gedachte, der Oberrabiner im israelischen Safed war und den er als spirituelles Leitbild erlebte, dass er Gemeinde und Synagoge in einen »lebendigen, frischen Ort« verwandeln wolle.
Als die Zeremonie beendet war und Shlomo Bistritzky sich das erste Mal als Landesrabbiner der Freien und Hansestadt Hamburg beglückwünschen lassen konnte von all den Verwandten, Freunden und Wegbegleitern, die aus aller Welt nach Hamburg gekommen waren, da wehte ein Hauch von Internationalität und Offenheit durch die Synagoge.
Und wenn man sich die vielen Menschen aus der jüdischen Gemeinde anschaute, die danach zum Empfang im Gemeindesaal strebten – junge Familien, fröhlich lärmende Kindergruppen, orthodoxe Juden, russische Zugezogene der älteren Generation – da konnte man fast spüren, dass ein neuer Wind durch die Hamburger Gemeinde weht. Vielleicht ist die Ernennung von Rabbiner Bistrizky der letzte Baustein gewesen, der zu einem neuen Aufblühen der jüdischen Gemeinde noch gefehlt hat. Ob er es schaffen wird, ein Rabbiner für diese verschiedenen Bedürfnisse und Richtungen der Gemeinde zu sein, bleibt die große Herausforderung, die jetzt auf ihn wartet.