Lebendig soll sie werden, die lange Geschichte der Kölner Juden. Seit mindestens 1.700 Jahren gibt es sie in der Stadt. Der älteste schriftliche Beweis ist ein Dekret Kaiser Konstantins aus dem Jahre 321, das den jüdischen Kölnern damals erlaubte, in den Stadtrat, die sogenannte Curia, berufen zu werden. Die Gemeinde muss also älter sein.
Was Archäologen derzeit unter Kölns Straßen finden, ist wie jüdisches Leben im Zeitraffer und regt die Fantasie an: Eine Jüdin sucht die Mikwe auf. Sie überlegt: »Ich muss zum Backhaus, das warm gehaltene Brot abholen.« Später werden Kreuzfahrer die Synagoge zerstören. Manche christliche Nachbarn werden Juden verstecken. Es steht das Pogrom von 1096 bevor.
Römer Seit 2007 reißen Archäologen um den Projektleiter Sven Schütte das Kölner Pflaster vor dem historischen Rathaus auf. Schon in den 50er-Jahren hatte der Archäologe Otto Doppelfeld an gleicher Stelle gegraben, allerdings mit Fokus auf die römischen Hinterlassenschaften. So waren schon 1957 eine Mikwe, die Grundmauern einer Synagoge und von Juden genutzte Häuser ergraben worden – bis auf das »Judenbad« schüttete man jedoch alles wieder zu. »Die spärlichen Überreste der Synagoge« hätten laut Doppelfeld einen zu »beklagenswerten Anblick« geboten.
All das haben die Archäologen in den vergangenen fünf Jahren wieder freigelegt. Dabei sind sie zwischen den Grundmauern in Tiefen vorgedrungen, die abgeglichen mit den historischen Überlieferungen eine Menge verraten. »Schichttorte« nennt Grabungsleiter Schütte die aufeinanderliegenden Mauerteile aus den unterschiedlichen Epochen – Zeugnis mannigfacher Zerstörung und Wiedererrichtung.
Welche Gebäude indes von Juden genutzt oder bewohnt wurden, lässt sich oft schwer erkennen. »Hätten wir die hebräischen Schriftzeichen und die Tierknochenfunde nicht, wir wüssten gar nicht, dass wir uns in jüdischer Geschichte bewegen«, erzählt Schütte. Aber gerade diese räumliche Nähe von Juden und Christen sei spannend. So haben sie in Köln wohl ohne größere Schwierigkeiten zusammengelebt – bis ins 13. Jahrhundert. Die jetzt digital rekonstruierte Bima der mittelalterlichen Synagoge ist nachweisbar von Handwerkern der Dombauhütte gefertigt worden. Sie haben in der gotischen Lesekanzel ihre Kürzel hinterlassen. Auch wurde der gleiche Stein verwendet.
Zwangstaufen Im Zuge des Pestpogroms 1349 ist die Synagoge dann aber bis auf ihre Grundmauern zerstört worden. Mit den Bruchstücken der einst kunstvoll verzierten Bima wurde der Keller verfüllt. Viele Juden töteten sich aus Furcht vor Zwangstaufen selbst, die anderen wurden ermordet. Grabsteine des jüdischen Friedhofs wurden für Bauten des Erzbischofs verwendet.
Keine 25 Jahre später siedelten sich zwar wieder Juden in Köln an, schon 1424 aber hatten auf Beschluss des Kölner Rats alle jüdischen Familien die Stadt zu verlassen. Nach zweijährigem Umbau wurde aus der einstigen Synagoge die Ratskapelle St. Maria in Jerusalem, »geweiht am Feste Mariä Geburt«. Diese christliche Nutzung endete 1943 durch eine Fliegerbombe, womit auch die Geschichte dieser Grundmauern ihr vorläufiges Ende fand.
Seit der Spätantike hatten alle an dieser Stelle errichteten Gebäude den gleichen Grundriss, jüngere Mauern wurden stets auf den Überresten der alten hochgezogen. Aber zu welcher Zeit wurde das Gebäude erstmals als Synagoge genutzt? Unstrittig hatte das Gemäuer diese Funktion schon im 8. Jahrhundert – belegt durch Schriften und ausgegrabene Teile wie Toraschrein, Sitzbänke und die erwähnte Bima. Damit ist es schon jetzt die älteste bekannte Synagoge nördlich der Alpen.
Mikwe Rätsel geben jedoch verschiedene Becken auf. Insbesondere ein trapezförmig gemauerter Raum unter der Frauensynagoge beschäftigt die Experten aus Deutschland und Israel. Form und Zeichen von ehemals vorhandenem Wasser könnten laut Schütte auf eine Mikwe hindeuten, das erwiesene hohe Alter des Beckens ließe ihm zufolge dann aber nur einen Schluss zu: Eine Kölner Synagoge existierte schon in der Antike. Andere Archäologen sind zurückhaltender mit dieser Interpretation.
Auch über das Museum, das spätestens 2016 über der »Archäologischen Zone« entstehen soll, wird diskutiert. Es gibt im Stadtrat Gegner des Vorhabens, der Projektleiter aber betont die Chance: »Das wird kein Geschichtsghetto, wo man die Juden ins Museum stellt, und dann ist man sie los«, so Schütte. »Wir zeigen die Interaktion zum Rest der Welt und dass es jüdische Kölner von Anfang an gibt.«
Die Eröffnung würde nicht das Ende der Grabungen markieren. Während sich die Besucher auf einer Glasempore bewegen sollen, würde darunter nach wie vor geforscht. So ist auch der Boden unter den Außenwänden des provisorischen Grabungszeltes noch nicht erschlossen. Dort vermuten die Archäologen weitere Teile des Toraschreins. Jeder neue Fund beeinflusst die Interpretation der Stadtgeschichte: Brandschutt von 1349; auf Schiefertafeln geritzte, deutsche Texte in lateinischer und hebräischer Schrift; ein goldener Ohrring, der offenbar versteckt worden ist; Tausende Tierknochen, Gefäßscherben und Münzen.
Es ist ein riesiges historisches Puzzle, das niemals komplett werden wird. Vielleicht verrät es aber eines Tages, bis wohin die jüdische Geschichte in Köln zurückreicht und warum dort, wie Rabbiner Zvi Asaria einst bemerkte, an Jom Kippur das Horn seit jeher nach Jerusalemer Ritus geblasen würde wie nirgendwo sonst in der Diaspora.