Neben israelischen Mandolinen, einer rappenden 94-Jährigen und koscheren Comics richten die 32. Jüdischen Kulturtage den Fokus vor allem auf »die russische Seele«. Denn ohne die Zuwanderung aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion hätte es keine jüdische Renaissance in Deutschland gegeben, sagt Gemeindechef Gideon Joffe. Ihnen widmen die Kulturtage unter dem Motto »Shalom Berlin« daher einen besonderen Akzent.
So wird etwa eine Ausstellung mit dem Titel Angekommen!? im Centrum Judaicum Berliner jüdische Künstler aus der Sowjetunion vorstellen – Maler, Bildhauer, Foto- und Installationskünstler. Und Andrej Hermlin und sein Swing-Orchester erweitern während der Kulturtage ihr Repertoire von russisch-jüdischen Musikerlegenden wie Benny Goodman auf den hierzulande eher unbekannten »sowjetischen Swing«.
BALKANPOP »Jüdisches aus Russland« bringt auch das Moscow Male Jewish Cappella Ensemble, einer der berühmtesten Synagogalchöre der Welt, und die achtköpfige Klezmerband Dobranotch aus St. Petersburg mit, Musiker zwischen Balkanpop, Blaskapelle und Klezmer. Und nicht zuletzt beim Eröffnungskonzert am 7. November in der Synagoge Rykestraße, das der Weltklassegeiger Yury Revich gemeinsam mit dem Deutschen Kammerorchester bestreiten wird, spiegelt sich dieser besondere Fokus wider.
Und doch greift der Schwerpunkt auf der »russischen Seele« zu kurz, wenn man das Programm betrachtet. Bei insgesamt 21 Veranstaltungen müssen sich die Besucher bei bis zu drei Veranstaltungen täglich zwischen szenischen Lesungen, Theaterabenden, Podiumsdiskussionen, Konzerten und Familienfesten für eines der Highlights entscheiden – keine leichte Wahl.
Eine besucherfreundliche Lösung haben die Organisatoren unter Intendant Gerhard Kämpfe insofern gefunden, als manche Veranstaltungen mehrmals stattfinden – so wie der humoristisch-musikalische Abend im Renaissance-Theater. Im vierten Jahr in Folge ist er eine mittlerweile beliebte Tradition bei den Jüdischen Kulturtagen.
»Wir wollen die Menschen lachend nach Hause gehen lassen – das ist gerade in diesen Zeiten besonders wichtig.« Intendant Gerhard Kämpfe
Alte Bekannte wie neue Gäste, darunter Simone Thomalla, Nadine Schori und Pierre Besson, tragen Texte von Ephraim Kishon, Kurt Tucholsky und Woody Allen vor. »Wir wollen die Menschen lachend nach Hause gehen lassen – das ist gerade in diesen Zeiten besonders wichtig«, sagt Intendant Gerhard Kämpfe dazu.
Auch jüngere Besucher sollen auf ihre Kosten kommen. Daher freut sich Kämpfe besonders auf den Auftritt von Nissim Black, dem »Rapper mit der Kippa«, einem orthodoxen Juden aus Seattle, dessen Songs auf YouTube millionenfach geklickt werden.
Rappend geht es auch bei einer Filmvorführung mit der Schoa-Überlebenden Esther Bejarano zu – deren Konzert mit Jiddisch, Deutsch, Türkisch und Kölsch singenden Musikern in Havanna im Mittelpunkt des Films Wo der Himmel aufgeht steht.
GEDENKEN Besondere Highlights dürften zudem das Abschlusskonzert mit der israelischen Soul-Queen Yasmin Levy – der israelische Superstar singt auf Ladino, der Sprache ihrer sefardischen Vorfahren – sowie des israelischen Musikers Avi Avital am 10. November in der Synagoge Rykestraße sein. Dessen Konzert »Avital meets Avital« ist ein Projekt, bei dem sowohl der klassische Mandolinenvirtuose als auch sein Musikerkollege, der Jazz-Kontrabassist Omer Avital, ihrem jeweiligen jüdisch-marokkanischen kulturellen Erbe näherkommen.
Als der israelische Star die Konzertidee Ende September in der Synagoge Rykestraße vorstellte, bedauerte Schauspielerin Katja Riemann, nicht zu Avitals Konzert gehen zu können – denn zur gleichen Zeit verwebt sie im Renaissance-Theater Musik, Literatur, Film und Theater auf Grundlage von Edgar Hilsenraths Roman Das Märchen vom letzten Gedanken.
Die Veranstaltung zeigt den Facettenreichtum der Jüdischen Kulturtage: Einblicke in die Vielfalt und Lebendigkeit jüdischen Lebens sind ebenso Bestandteil des Programms wie das Erinnern – so auch die Gedenkveranstaltung am 8. November im Gemeindehaus in der Fasanenstraße anlässlich des 81. Jahrestages der Novemberpogrome.