Wer den Lichthof des Münchner Justizpalastes verlässt, findet seit Dienstag vergangener Woche an der östlichen Säule beim Ausgang zum Südvestibül eine Gedenktafel. Auf ihr stehen 210 Namen von Richtern, Staatsanwälten, Notaren, Justizinspektoren, Angestellten und Rechtsreferendaren, die während der NS-Zeit entrechtet, vertrieben, verfolgt oder ermordet wurden.
Hinter jedem dieser 210 Namen stehen Einzelschicksale, hob der Amtschef des Bayerischen Justizministeriums, Walter Schön, hervor: »Jedes Leben, jedes Schicksal dieser Justizbediensteten und ihrer Angehörigen wäre ohne die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten und die Vernichtungsmaschinerie gegen die jüdischen Mitbürger vollkommen anders verlaufen: normal, erfolgreich, glücklich. Jedenfalls hätte es in ihrer Hand gelegen, ihr Leben selbst zu gestalten.«
historiker Das Schicksal von jüdischen Justizbediensteten zwischen 1933 und 1945 hat der ebenfalls bei der Gedenkstunde anwesende Historiker Reinhard Weber vor einiger Zeit ausführlich erforscht. Am Beispiel Bayerns wies er nach, welche massiven Auswirkungen der vom Staat betriebene Antisemitismus auf das Leben jüdischer Justizbeamter hatte.
In seiner Studie Rechtsnacht: Jüdische Justizbedienstete in Bayern nach 1933 zieht Weber die Bilanz dieser Zeit: Die Ausgrenzung, Entrechtung, Vertreibung und Vernichtung von jüdischen Juristen war auch in Bayern allgegenwärtig.
Für Amtschef Schön ist die einzige Konsequenz aus dieser Zeit, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, um daraus für die Gegenwart und die Zukunft Lehren zu ziehen. »Wenn auch das Leben vorwärts gelebt wird – verstehen und entsprechende Lehren daraus ziehen können wir nur in der Rückschau«, sagte Schön mit Nachdruck. »Die Tafel veranlasst uns aufzumerken, damit nicht in Vergessenheit gerät, was nie wieder passieren darf!«
Auftrag Geradezu als Auftrag der Geschichte bezeichnete auch IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch die Erinnerung, »die dazu beiträgt, die Weichen heute so zu stellen, dass neue Opfer weltweit verhindert werden«. So sei eine kluge Kultur des Erinnerns notwendig, unterstrich Knobloch. Dabei gehe es nicht um ein Verharren in der Erinnerung, sondern darum, ein solches Unrecht nie wieder zuzulassen.
»Was blieb und was bleibt, ist Verantwortung. Sie ist universell. Sie verjährt nicht. Ein aufgeklärter Patriot weiß das. Er ist stolz auf sein Land, liebt seine Heimat«, erklärte Knobloch. »Ein aufgeklärter Patriot weiß aber auch um deren Geschichte und ist daher gewarnt und gewillt, heutige Missstände und Fehlentwicklungen zu erkennen – und im Keim zu ersticken. In diesem Geist wurde die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland als eine wehrhafte konstituiert.«
Gurlitt Die Verantwortung liege im Hier und Jetzt, führte Knobloch weiter aus. Dabei ging sie auch auf den »Schwabinger Kunstfund« ein. Teile der Sammlung Gurlitt stehen im Verdacht, jüdischen Eigentümern einst abgepresst oder einfach weggenommen worden zu sein. »Deutschland hat es viel zu lange versäumt, eine verantwortungsvolle Rechtslage für diese Enteignungen zu schaffen. Noch immer ist nicht gewährleistet, dass die ohnehin wenigen aufgedeckten Fälle unbürokratisch und würdevoll abgewickelt werden«, so Knobloch.
Für künftige Fälle, erklärte Amtschef Schön, habe Bayern »deshalb einen Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht, der bei Bösgläubigkeit des Besitzers die Verjährung ausschließt. Deutschland muss auch in dieser Geschichte seiner historischen Verantwortung gerecht werden! Das sind wir den Opfern, nicht zuletzt auch denen, derer wir hier gedenken, mehr als schuldig.«
Dass nun mit einer Namenstafel an eben jene Schoa-Opfer erinnert wurde, geht auf eine Anregung des Hauptpersonalrats beim Bayerischen Justizministerium zurück. Dessen Vorsitzender Ralf Simon wünschte sich zum Abschluss der Veranstaltung, dass die Tafel zum Gedenken, aber auch zum Nachdenken beiträgt.
Reinhard Weber: »Rechtsnacht. Jüdische Justizbedienstete in Bayern nach 1933«. Bayerisches Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, München 2012, 205 S.