Einladend war das Wetter am Sonntagabend in Berlin ganz und gar nicht. Dennoch war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Brandenburger Tor im Herzen Berlins gekommen, um das jüdische Lichterfest Chanukka mit einem Festakt zu eröffnen. Bei der feierlichen Zeremonie entzündete das Staatsoberhaupt gemeinsam mit Rabbiner Yehuda Teichtal das erste von insgesamt acht Lichtern an Europas größtem Chanukkaleuchter.
Trotz Dauerregen und kühler Temperaturen hatten sich etwa 400 Menschen vor Berlins Wahrzeichen eingefunden. Unter den Ehrengästen waren unter anderem Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sowie der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe. Auch die Botschafter von Israel und den USA, Jeremy Issacharoff und Richard Grenell, waren zum Lichtzünden gekommen. Die etwa zehn Meter hohe Chanukkia war bereits am Freitag vom Jüdischen Bildungszentrum Chabad Berlin auf dem Pariser Platz aufgestellt worden.
FAMILIENFEST Bundespräsident Steinmeier sagte, dass das Licht im Judentum und im Christentum gleichermaßen für Freude und Zuversicht stehe. »80 Jahre nach der Pogromnacht ist es ein wahres Geschenk, dass wir einander die Hände reichen können über den Abgrund unserer Geschichte hinweg«, sagte Steinmeier. Er sei dankbar, »dass wir in diesem Land wieder gemeinsam Chanukka feiern können«. Chanukka sei wie Weihnachten und die Adventszeit ein fröhliches und familiäres Fest.
Steinmeier rief aber auch zum Kampf gegen Hass und Hetze auf. »Wir dürfen weder alten, noch neuen, noch lauten und auch nicht leisen Antisemitismus in unserer Gesellschaft dulden«, forderte der Bundespräsident. Die Geschichte sei Verpflichtung und Verantwortung zugleich, »unter die es keinen Schlussstrich geben wird«.
Rabbiner Teichtal sagte, dass das Chanukkafest symbolisch für den Triumph des Lichts über die Dunkelheit stehe. »An dem Platz, der durch den Fackelzug der Nazis einst zum Schauplatz des Bösen wurde, feiern wir heute die Vielfältigkeit und Offenheit unserer Gesellschaft«, sagte Teichtal. Dass der Chanukkaleuchter an einem derart zentralen Ort in Berlin stehe, zeige, dass jüdisches Leben heute wieder einen festen Platz in Deutschland habe.
Josef Schuster: »Juden wissen,
was ein Adventskranz ist,
Nichtjuden sollten wissen,
was eine Chanukkia ist.«
Berlins Regierender Bürgermeister sagte, dass das Lichterfest an »unsere gemeinsame Verantwortung erinnert, sich für ein friedliches Zusammenleben einzusetzen«. Zentralratspräsident Josef Schuster sprach von einem »deutlichen Zeichen für Toleranz«, das von dem Chanukkaleuchter Jahr für Jahr ausgehe. »Die Chanukkia steht für eine weltoffene Hauptstadt«, sagte Schuster. Sie spende wärmendes Licht und erinnere daran, dass Zivilcourage, Respekt und Rücksicht jeden Tag aufs Neue erkämpft werden müssen.
APPELL Schuster forderte zum besseren gegenseitigen Kennenlernen auf. »So wie Juden in Deutschland wissen, was ein Adventskranz ist, so sollten Nichtjuden in Deutschland wissen, was eine Chanukkia ist«, meinte Schuster. Der Berliner Gemeindevorsitzende Joffe dankte den Rabbinern von Chabad Lubawitsch dafür, dass sie sich jedes Jahr wieder dafür einsetzen, dass die Chanukkia vor dem Brandenburger Tor aufgestellt wird. »Die Rabbiner sind für mich das Sinnbild eines Liebespredigers, der dem Hass konsequent positive Gedanken entgegenbringt«, sagte Joffe.
Wie wichtig der Einsatz gegen Antisemitismus und Diskriminierung in Berlin ist, hatte sich am Wochenende wieder gezeigt. Am Samstagmorgen waren im Ortsteil Oberschöneweide in Treptow-Köpenick mehrere antisemitische Schmierereien entdeckt worden. Ein unbekannter Täter hatte an mindestens 21 Schaufensterscheiben und Häuserwänden entlang der Wilhelminenhofstraße Ecke Rathausstraße judenfeindliche Hetzparolen geschmiert. Der polizeiliche Staatsschutz hat die Ermittlungen wegen Volksverhetzung aufgenommen.
PROTEST David Wohjahn, der sich im Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft engagiert, war auch wegen dieser jüngsten Nachricht von Antisemitismus zum Lichterzünden ans Brandenburger Tor gekommen. »Solche Straftaten zeigen, wie tief Judenhass in unserer Gesellschaft nach wie vor verwurzelt ist«, sagte der 22-Jährige. Nur wenn die ganze Gesellschaft aufstehe und zeige, dass sie gegen jedwede Form der Diskriminierung einstehe, könne man wirksam gegen Ressentiments vorgehen.