Der Titel der diesjährigen Jüdischen Kulturtage hieß »Shalom Berlin«. Inoffiziell aber stand ein anderes Motto über den 21 Veranstaltungen: »Angekommen«. Schon am Vorabend der Eröffnung stellten Bildende Künstler aus der ehemaligen Sowjetunion ihre Werke in einer gleichnamigen Ausstellung im Centrum Judaicum vor.
Und für das Eröffnungskonzert hatte der junge, längst international erfolgreiche Violinist Yury Revich ein Programm unter dem Titel »Russian Soul« zusammengestellt, das er gemeinsam mit dem Deutschen Kammerorchester Berlin in der Synagoge Rykestraße aufführte. »Ein facettenreicher Künstler mit einer unglaublichen Tiefe«, schwärmte Josef Goller, Musiklehrer aus Neukölln.
Auch der »Moscow Male Jewish Cappella«-Chor unter der Leitung von Kantor Uriel Granat blieb sowohl dem offiziellen wie auch dem inoffiziellen Motto treu und gestaltete einen Abend mit jüdisch-liturgischer wie auch russischer Volksmusik bis hin zu internationalen Klassikern. Und die amerikanische Band The Klezmatics, die einzige Klezmer-Band, die je mit einem Grammy ausgezeichnet wurde, begeisterte mit einem Stilmix aus traditionellen osteuropäisch-jüdischen Songs und Musikstilen wie Arab, Afro, Latin, Jazz und Punk.
EXZENTRIK Der Abend »Ankommen in Berlin – damals und heute« im Literaturhaus war vor allem der Sozialrevolutionärin Rosa Luxemburg gewidmet. In dem von dem rbb-Journalisten Harald Asel moderierten Gespräch erzählte der ausgewiesene Luxemburg-Experte Tom Strohschneider von deren Stimmungsschwankungen zwischen Einsamkeit und politischem Eifer, nachdem Luxemburg 1898 von Polen nach Deutschland übergesiedelt war.
Das Ankommen heute wurde durch die junge Autorin Lana Lux repräsentiert, die von ihrer Diskriminierung als jüdisches Kind in der Ukraine berichtete und davon, dass sie in Berlin, »der Heimat der Heimatlosen«, trotz ihrer Exzentrik angenehm unauffällig bleiben kann. Im zweiten Teil des Abends las die Schauspielerin Daphna Rosenthal einige von Rosa Luxemburgs Briefen aus dem Gefängnis.
In diesem Jahr hatten vor allem Schauspielerinnen erheblichen Anteil am Erfolg der Kulturtage.
In diesem Jahr hatten vor allem Schauspielerinnen erheblichen Anteil am Erfolg der Kulturtage. So brauchte es schon die Bühnenpräsenz einer Katja Riemann, um einen monumentalen Text wie Edgar Hilsenraths Roman Das Märchen vom letzten Gedanken auf die Bühne zu bringen. Erzählt wird die Geschichte des Völkermords an den Armeniern. Schauspielerisch präzise nimmt Riemann wechselnde Perspektiven ein, etwa die eines festgenommenen Armeniers und die seines türkischen Vernehmers. Der im letzten Jahr verstorbene Hilsenrath hätte sich kaum eine bessere Performance für seine preisgekrönte Erzählung wünschen können.
EXIL Und weil die Schauspielerin offenbar die Aufnahmefähigkeit des Publikums nicht allzu sehr strapazieren wollte, hatte sie den Pianisten Guillaume de Chassy dabei, der zwischendurch auf sehr individuelle Weise die weltberühmten Melodien Kurt Weills – von der Dreigroschenoper bis zu den Broadway-Musicals – interpretierte. Schließlich lebten Weill und Hilsenrath zeitgleich als jüdische Emigranten in New York, auch wenn sie sich nie begegnet sind.
Schon zum vierten Mal brachte ein sechsköpfiges Ensemble um die Regisseurin und Schauspielerin Nadine Schori unter dem Titel »Lerne lachen, ohne zu weinen« ein Potpourri aus Liedern und Texten jüdischer Autoren auf die Bühne des Renaissance-Theaters. Die Hauptakteure waren wie in den Vorjahren die Sängerin Sharon Brauner, der Sänger und Gitarrist Karsten Troyke und deren Band.
Sie eröffneten den Abend mit einem Medley, das vom Trinklied »L’Chaim« bis zur jiddischen Version von Beethovens 9. Sinfonie reichte. Wieder waren prominente Schauspieler hinzuengagiert worden, die satirische Texte – von Kishon bis Woody Allen – vortrugen, darunter Simone Thomalla, Christoph M. Ohrt und Pierre Besson.
Die israelische Sängerin Yasmin Levy erinnerte an jahrhundertelangen gegenseitigen Respekt.
Der kurzweilige Abend kam beim Publikum gut an. »Hervorragende Musiker zusammen mit dem Überraschungsgast Lulo Reinhardt sowie die engagiert Vortragenden haben den Abend zu einem Erlebnis gemacht, das zum Lachen und Mitsingen verführte – und Weinen nicht zuließ«, sagte Besucherin Sabine Burmester.
»Eine Hommage an die große Künstlerin Mascha Kaléko« hatte die Schauspielerin und Sängerin Sabra Lopes im Programmheft versprochen. Sie hat Wort gehalten und im historischen Ballhaus Berlin dafür einen optimalen Aufführungsort gefunden.
In einem zweistündigen Feuerwerk an bisweilen expressiver Rezitation, aber auch mit glasklarem Sopran brachte Sabra Lopes die satirische, zärtliche und melancholische Großstadtlyrik von Mascha Kaléko auf die Bühne. Zwei Stunden, die den Bogen eines jüdischen Künstlerlebens zwischen Berliner Bohème, New Yorker Exil und zeitweiliger Rückkehr nach Europa spannten.
STIMMGEWALT Zum Abschluss des Festivals präsentierte die israelische Sängerin Yasmin Levy die musikalische Tradition der Sefardim. Schon in der melancholischen Eingangsnummer, die die Sängerin solo am E-Piano vortrug, überraschte sie das Publikum mit ihrer Stimmgewalt.
Gemeinsam mit einer vierköpfigen Band entwickelte sie dann ein Programm, das von sanften Belcanto-gleichen Liedern über Tangos und Gypsy-Songs bis zu dem sefardischen Liebeslied »Adio Kerdida« reichte. Auch noch 500 Jahre nach der Vertreibung der Juden von der Iberischen Halbinsel war an diesem Abend der musikalische Einfluss der Sefardim auf die spanische Musik zu spüren.
Der Sängerin ist dieser traditionelle Bezug ein Anliegen. »Die Ladino-Lieder entstanden in einer Zeit, als Juden in Frieden mit Muslimen in Spanien lebten«, erklärte sie. »Wir müssen uns daran erinnern, dass es eine sehr lange Zeit des gegenseitigen Respekts gab – und es gibt keinen Grund, warum wir dies nicht heute ebenso tun sollten.« Würdiger hätte der Abschluss eines Festivals mit dem Titel »Shalom Berlin« nicht sein können.