Es ist Sonntagnachmittag. Colette Häussler steht vor einer kleinen Gruppe interessierter Hobbyköche. Auf ihrem Vorführtisch im Gemeindehaus in der Fasanenstraße liegen fertig gebackene Sufganiot und Challot. »Ich lasse den Herd richtig heiß werden«, sagt die Workshop-Leiterin. Das sei eine Voraussetzung dafür, dass das Teiggebäck und das süßlich-herzhafte Brot gelingen. Die Sufganiot seien allerdings dieses Mal nicht so gut geworden.
»Der Teig müsste beim Backen viel mehr aufgehen. Aber der Morgen war heute so stressig«, entschuldigt sie sich bei den Anwesenden. Colette Häusslers Crash-Kurs in jüdischer Backkultur ist an diesem Nachmittag Teil des »Balagan Day«-Programms, das die Jüdische Gemeinde zu Berlin anlässlich der 29. Jüdischen Kulturtage auf die Beine gestellt hat. Während in dem holzvertäfelten Raum über die richtige Ofentemperatur, Mehl- und Zuckermengen, Anzahl von Eigelb und Teigkonsistenz gefachsimpelt wird, herrscht im Festsaal nebenan Trubel: Stände mit koscherem Sushi, Falafel, Süßigkeiten und Wein sowie Büchern und Keramik wechseln einander ab; in der Mitte des Raumes sitzen die Besucher an langen Tischen. Kinder tanzen vor der Bühne zur Musik von »Kids Groove«, der funkigen Pop-Band der Musikschule Stas Warschawski.
Im Foyer haben Regina Alpern und ihre Begleitung einen Stehtisch ergattert. Den Balagan Day loben sie in höchsten Tönen: »Hier kann man sich wunderbar die Zeit vertreiben«, sagt Regina Alpern. Für alle sei etwas dabei, Kinder wie Erwachsene. Was sie während der Jüdischen Kulturtage auf keinen Fall verpassen möchten, sei das Konzert der Berliner Band »Jewdyssee« der Sängerin Maya Saban. Die Tickets für das Konzert am Donnerstag in der Synagoge in der Rykestraße habe sie bereits gekauft.
»Shalom Berlin« Dort war das Festival am Samstagabend unter dem Motto »Shalom Berlin« eröffnet worden. Das Konzert in Berlins ältester und Deutschlands größter Synagoge war ausverkauft. Mehr als 2000 Gäste waren zur Auftaktveranstaltung gekommen, darunter auch Polens Botschafter Andrzej Przylebski, Pankows Bezirksbürgermeister Sören Benn (Die Linke) und Vertreter der Evangelischen Kirche sowie des Auswärtigen Amtes.
Toleranz und Akzeptanz seien »die wichtigsten Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben«, betonte Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, in seiner Eröffnungsansprache. Es sei letztendlich egal, welcher Religion man angehöre, ob man Jude, Christ oder Muslim sei. Die Jüdischen Kulturtage sieht der Gemeindechef als »Brücke und Möglichkeit, um miteinander ins Gespräch zu kommen« – ein Gedanke, den Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen ebenfalls in seinem Grußwort äußerte.
Neben Toleranz und Akzeptanz forderte er zudem »Weltoffenheit und ein Bekenntnis zur Demokratie« ein. Auf die Entwicklung des jüdischen Lebens in der Stadt blicke er mit Zufriedenheit, sagte Kollatz-Ahnen. »Die jüdische Kultur ist wieder ein starkes Stück Hauptstadtkultur geworden«, fügte der Finanzsenator hinzu. Das sei nicht selbstverständlich, sondern Ausdruck eines Vertrauensbeweises, den er sehr zu schätzen wisse.
programm Die mehrtägige Veranstaltung blickt auf eine lange Tradition zurück: Seit 1987 findet sie in Berlin statt. Initiiert wurde sie damals von Heinz Galinski, dem langjährigen Berliner Gemeindevorsitzenden. Kuratiert werden die 29. Kulturtage in diesem Jahr erstmals von Gerhard Kämpfe. Er gilt als Spezialist für Großveranstaltungen; Festivals wie das Classic Open Air auf dem Berliner Gendarmenmarkt oder die Feuerwerkshow Pyronale auf dem Maifeld hat er ins Leben gerufen.
Zum Eröffnungskonzert in der Rykestraße hat Gerhard Kämpfe das Swing Dance Orchestra von Andrej Hermlin engagiert – eine 14-köpfige Band mit Streichquartett, Blech- und Holzbläsern sowie Sängern. Für die Kulturtage hat die Big Band ein Programm mit Werken jüdischer Jazzmusiker und Komponisten zusammengestellt. Die Musiker betraten die Bühne im 30er-Jahre-Outfit. »Es ist eine Ehre für uns, die Jüdischen Kulturtage zu eröffnen«, sagte Bandleiter und Pianist Andrej Hermlin. Er hatte eine Reihe von tanzbaren Orchesterstücken von amerikanischen, deutschen und sowjetischen Komponisten mitgebracht.
eindrücke »Das Konzert hat uns sehr gut gefallen«, sagt Regina Alpern einen Tag später beim Balagan Day im Gemeindehaus. »Wir haben den Auftakt leider verpasst«, meint hingegen Familie Köhler. Mutter und Tochter haben bereits einen Rundgang durch das Gemeindehaus in der Fasanenstraße gemacht. »Wir fühlen uns hier sehr wohl und gehen gern zu jüdischen Veranstaltungen«, betonen beide. Das Programm der 29. Kulturtage wollen sie zu Hause ausgiebig studieren und sich dann in den kommend Tagen für verschiedene Veranstaltungen entscheiden.
Bis zum 13. November stehen in Berlin noch einige Highlights an, etwa eine Ballroom Swing Party mit dem Capital Dance Orchestra, ein Kinderkonzert des Kammerorchesters Unter den Linden, das sich dem Schaffen Felix Mendelssohn-Bartholdys widmet, eine Lesung mit der israelischen Schriftstellerin Lizzie Doron, eine DJ-Night im Club »Cosmic Kaspar« sowie die Berlin-Premiere des Dokumentarfilms Wir sind Ju- den aus Breslau.
Einen weiteren Höhepunkt bildet laut Veranstalter das Abschlusskonzert in der Rykestraße. Dort wird am Sonntag Daniel Hope erwartet, einer der erfolgreichsten klassischen Geiger der Welt.
Bereits über die Bühne gegangen sind eine Lesung im Renaissance-Theater, eine Podiumsdiskussion zur Frage, was Jüdischsein heute bedeutet und ausmacht. Und auch die jährliche Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht am 9. November ist Teil des Programms.