München

Stunden der Angst

Ohel-Jakob-Synagoge in München Foto: imago

Angst, Entsetzen, Fassungslosigkeit: Die vorherrschende Gemütslage der meisten Juden in München stand am Freitagabend auch den Betern der Ohel-Jakob-Synagoge förmlich ins Gesicht geschrieben. Als der Gottesdienst um 19.45 Uhr begann, waren Ausmaß und Hintergründe des Anschlags im Olympia-Einkaufszentrum noch nicht bekannt, die ganze Stadt befand sich im Ausnahmezustand.

Die Verunsicherung war an diesem Abend auch in der Synagoge allgegenwärtig und das einzige Gesprächsthema. »Es herrschte eine sehr betretene Stimmung«, beschreibt Rabbiner Yehuda Aharon Horovitz die Stunden direkt nach der Bluttat, die sich erst im Laufe der Nacht als Amoklauf eines verwirrten Einzeltäters herausstellte. Zuvor sah alles nach einem erneuten islamistischen Terroranschlag aus.

Realität »Die Gefahr von Anschlägen ist schon lange Realität, und uns allen muss bewusst sein, dass es eine 100-prozentige Sicherheit nirgendwo geben kann«, sagte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, nach den Morden. »Aber die Menschen müssen das Gefühl haben, dass alles getan wird, um Extremisten von ihren mörderischen, menschenverachtenden Taten abzuhalten und das freie Leben der Zivilgesellschaft zu gewährleisten.«

Auf die ungewisse Lage nach der Tat handelte die Kultusgemeinde umgehend. »Unser Sicherheitspersonal hat sofort in angemessener Weise reagiert und hatte die Situation jederzeit unter Kontrolle«, teilten Charlotte Knobloch, IKG-Vizepräsident Yehoshua Chmiel und Eithan Kohn, Leiter der Sicherheitsabteilung, in einer gemeinsamen Erklärung am Samstag mit. »Die in den Gebäuden anwesenden Personen und die Gottesdienstteilnehmer haben sehr besonnen reagiert und bis auf wenige Ausnahmen sehr lobenswert mit dem Sicherheitspersonal kooperiert. Für unsere Gemeinde bestand zu keiner Zeit eine akute Gefährdung.« Aus diesem Grund lief der Betrieb aller Gemeindeeinrichtungen, insbesondere Kinderkrippe, Kindergarten und Schule, wie gewohnt weiter.

Verunsicherung Am Freitagabend indes dominierte noch die Verunsicherung. Karl-Heinz Fichtner, Leiter des Restaurants »Einstein« im Gemeindezentrum, beschreibt die Atmosphäre in seinem Lokal wie folgt: »Die Stimmung der Gäste war betreten, ganz anders als sonst. Und es gab nur das eine Gesprächsthema.« Auch am nächsten Morgen, als bereits feststand, dass es keinen islamistischen Hintergrund gab, waren die Sorgen keineswegs verflogen. »Viele Mitglieder kamen deshalb schon in den frühen Morgenstunden in die Gemeinde und suchten das Gespräch«, erinnert sich Rabbiner Horovitz.

Mit Blick auf die Attentate in Würzburg, München, Reutlingen und Ansbach innerhalb weniger Tage ruft IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch die Gesellschaft nun zum Vertrauen in die eigene Stärke auf. »Nach der Phase des Schocks und des Entsetzens müssen wir uns darauf besinnen, wo unsere Stärken sind und was wir jetzt tun können und tun müssen«, so Knobloch. »Fest steht, dass wir uns nicht einschüchtern lassen werden. Es gibt Verunsicherung, es gibt Sorgen, aber mehr als alles andere gilt unser unerschütterliches Bekenntnis zu unseren liberalen Überzeugungen.« Von der Politik erwarte sie ein »konsequentes Vorgehen« gegen Extremisten, die sich politisch oder religiös radikalisierten.

Frankfurt/Main

»Mein Herz blutet«

In Israel herrsche »Balagan«, Chaos, sagt Chaim Sharvit. Er steht hier denen zur Seite, die zum ersten Jahrestag des 7. Oktober dunkle Gedanken haben. Ein Besuch in Deutschlands größtem jüdischen Altenheim in Frankfurt

von Leticia Witte  14.10.2024

Gedenkveranstaltung

Steinmeier: Wer überlebt hat, trägt schwer an der Last

Fünf Jahre nach dem rechtsextremen Anschlag besucht Bundespräsident Steinmeier die Tatorte.

 09.10.2024

Frankfurt

Graumann und Grünbaum zur Doppelspitze in der Frankfurter Gemeinde gewählt

Den Vorstand vervollständigen Rachel Heuberger, Daniel Korn und Boris Milgram

von Christine Schmitt  09.10.2024

Berlin

»Ein bewegender Moment«

Am Donnerstag fand in Berlin die feierliche Ordination von zwei Rabbinerinnen sowie sechs Kantorinnen und Kantoren statt. Doch auch der monatelange Streit um die liberale Rabbinatsausbildung in Deutschland lag in der Luft

von Ralf Balke  09.09.2024 Aktualisiert

Neue Potsdamer Synagoge

Am Freitag wird der erste Gottesdienst gefeiert

Nach der feierlichen Eröffnung im Juli soll nun das religiöse Leben in der Synagoge in Potsdam langsam in Gang kommen. Am Wochenende sind erste Gottesdienste geplant

 06.09.2024

IKG

»Ein großer Zusammenhalt«

Yeshaya Brysgal zieht nach einem Jahr als Jugendleiter eine positive Bilanz und plant für die Zukunft

von Leo Grudenberg  04.09.2024

Keren Hayesod

»Das wärmt mir das Herz«

Der Gesandte Rafi Heumann über seinen Abschied von Berlin, deutsche Spielplätze und treue Spender

von Christine Schmitt  04.09.2024

Porträt der Woche

Sinn ernten

Caro Laila Nissen half nach dem 7. Oktober Bauern in Kibbuzim nahe Gaza

von Lorenz Hartwig  01.09.2024

Frankfurt

Dinner mit den »Zweiflers«

Die Jüdischen Filmtage überzeugen durch ein breites Spektrum an Angeboten

von Johanna Weiß  30.08.2024