Wer ihn einmal gesehen hat, wird sich gewiss lange noch daran erinnern. Die Rede ist vom sogenannten Martin-Buber-Blick, jener imposanten Blickachse, die vom jüdischen Friedhof in Worms über das uralte Gräberfeld hinweg Richtung Dom weist.
Auf diesem »Heiligen Sand«, wie das Areal gleichfalls genannt wird, weil wohlhabende Juden im Mittelalter als Zeichen ihrer religiösen Verbundenheit Erde aus Jerusalem dorthin bringen und verteilen ließen, wurde am 29. Januar in Anwesenheit von Oberbürgermeister Michael Kissel eine Stele enthüllt, die an das am 14. Januar 1933 stattgefundene Treffen zwischen dem jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber und dem evangelischen Theologen Karl Ludwig Schmidt erinnern soll.
blickachse Darin hatten beide die Frage des Bundes zwischen Gott und den Juden diskutiert, wobei Buber genau diese Blickachse thematisierte, um seine Gedanken dazu ein wenig zu konkretisieren.
»Die Idee zu dem Vorhaben kam vor rund einem Jahr von Stella Schindler-Siegreich, der damaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Mainz, die auch für Worms zuständig ist«, berichtet Susanne Urban, Geschäftsführerin des Vereins SchUM-Städte Speyer, Worms, Mainz. »Wir haben ihren Vorschlag begeistert aufgegriffen und sofort prüfen lassen, ob es aus religiöser Sicht Einwände dagegen geben könnte. Das war nicht der Fall.«
SchUM ist ein Akronym aus den hebräischen Anfangslettern der lateinischen Namen von Speyer, Worms und Mainz. Im Mittelalter hatten die jüdischen Gemeinden der drei Städte ein gemeinsames Gremium gebildet, den Va’ad SchUM, um so ihre Interessen gegenüber der Obrigkeit besser zu vertreten.
cortenstahl Das Resultat der Initiative von Schindler-Siegreich sowie des Vereins ist eine 120 Zentimeter hohe Stele aus Cortenstahl in Edelrostoptik mit einem leichten Knick, der das Ganze wie ein Pult erscheinen lässt. Zu sehen ist darauf ein Bild von Martin Buber sowie ein nach dem Treffen mit Karl Ludwig Schmidt von ihm verschriftlichter Auszug aus dem Gespräch der beiden. »Ich habe da gestanden ... all die Zerspelltheit, all der lautlose Jammer ist mein ... Der Dom ist, wie er ist. Der Friedhof ist, wie er ist. Aber gekündigt ist uns nicht worden«, heißt es unter anderem. An der rechten Kante ist unten zudem ein QR-Code angebracht, über den sich weitere Informationen abrufen lassen. Finanziert wurde die Buber-Stele von den Förderern des Vereins.
Das Projekt will aber nicht nur die Erinnerung an die Bedeutung von Worms als ein Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit im Mittelalter wachhalten. Vielmehr ist die Stele ein zentraler Baustein in dem Vorhaben der Region, unter der Bezeichnung »SchUM-Städte am Rhein – Jüdisches Erbe für die Welt« als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt zu werden.
Erste Überlegungen dazu fanden bereits 2004 statt, 2014 nahm man die erste Hürde, weil es die SchUM-Städte zusammen mit acht weiteren Kandidaten auf Platz 5 der deutschen Vorschlagsliste geschafft hatten. Die endgültige Entscheidung wird die UNESCO aber erst im Jahr 2021 treffen. Fällt diese positiv aus, so wird dadurch auch garantiert, dass die nach Martin Buber benannte historische Blickachse nicht durch Neubauten verändert oder gar blockiert werden kann.
»Wir wollten durch die Formgebung und Position der Stele sichergehen, dass sie nicht wie ein Fremdkörper wirkt«, bringt es Urban auf den Punkt. Doch genau daran übt Professor Michael Brocke Kritik. »Das alles dient vor allem dem Werben um Touristen«, so der Direktor des Salomon L. Steinheim-Instituts an der Universität Duisburg-Essen.
implantat Brocke selbst erforscht und dokumentiert seit Jahren die rund 2700 Inschriften der Gräber auf dem Heiligen Sand. »Es handelt sich um den ältesten jüdischen Friedhof in Europa, weshalb das Areal eine ganz besondere Würde ausstrahlt und den höchstmöglichen Respekt im Umgang verlangt.« Genau diese aber sieht er durch die Stele verletzt, die für ihn ein »Implantat« darstellt, das dort nichts zu suchen hat. »Zudem kümmerte es lange niemanden der Verantwortlichen bei der Denkmalbehörde, dass fünf Grabsteine umgefallen waren.«
Für Brocke ist der Friedhof keine christlich-jüdische Begegnungsstätte, sondern schlichtweg ein jüdischer Ort, dessen Bedeutung auch darin besteht, als solcher die Zeiten überstanden zu haben. »Die verwendeten Zitate waren vor der Schoa kontrovers-theologisch eindrucksvoll«, merkt der Experte an. »Ohne den historischen Kontext sind sie aber heute absolut unverständlich und im jüdisch-christlichen Gespräch überholt. Und die englische Übersetzung ist fehlerhaft und verfremdet den Textauszug völlig.«