Ein Grab reiht sich an das nächste. Mehr als 8000 Verstorbene sind es, die auf dem neuen Jüdischen Friedhof an der Garchinger Straße ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. In den meisten Fällen kümmern sich Angehörige um die Pflege der Grabstellen. Doch es gibt auch viele »vergessene Gräber«, die im Laufe der Jahre von Moos und Wildwuchs überwuchert wurden und sich selbst überlassen bleiben. Das soll sich nun ändern. Die Initiative »Mitzwe Makers« kümmert sich um diese Gräber und gibt ihnen ihre einstige Würde zurück.
»Zu zeigen, dass hinter jedem zugewachsenen, verwitterten oder unlesbaren Grabstein eine Geschichte mit einem Menschenleben steckt, liegt uns besonders am Herzen«, beschreibt Steven Guttmann, Vorsitzender der Mitzwe Makers, die Intention für dieses Projekt. Die Bemühungen des Vereins gehen deshalb auch weit über bloße »kosmetische Arbeiten« wie das Freilegen von Namenszügen auf den Grabsteinen oder das Beseitigen von wild wuchernden Pflanzen hinaus.
gedenken Mehr als 50 der schätzungsweise 800 verwaisten Gräber haben die Mitzwe Makers seit Beginn der Aktion mit Schaufel und Gartenwerkzeug mittlerweile wiederinstandgesetzt. »Wir kümmern uns zunächst um die Gräber aus den Jahren 1938 bis 1945. Dabei handelt es sich in den meisten Fällen um Schoa-Opfer«, erklärt Steven Guttmann die Vorgehensweise.
Nicht immer ist es ganz einfach, über diese Menschen und ihr Schicksal etwas zu erfahren und das Gedenken an sie auf diese Weise wieder wach werden zu lassen. Die Mitzwe Makers bewegen sich deshalb teilweise auf den Spuren von Sherlock Holmes und recherchieren überall, wo Hinweise weiterhelfen könnten: in den Archiven von Yad Vashem, der Stadt München und in den Datenbeständen des Bundesarchivs.
Dabei haben Steven Guttmann und die Vorstandsmitglieder Julie Moskovits, Helena Bahceci und Alex Faktorovitch sogar unerwartete Hilfe bekommen. »Ein Münchner und ein Mann aus Israel haben sich gemeldet, helfen uns bei den Recherchen und versuchen, eventuelle Angehörige in Israel ausfindig zu machen«, berichtet Guttmann. Die Fortschritte bei ihrer Arbeit auf mehreren Ebenen dokumentieren die jungen Erwachsenen auch auf ihrer Website. Dort veröffentlichen sie Bilder von den Grabstellen und den Verstorbenen, die dort beigesetzt wurden.
recherchen In mehr als 30 Fällen waren ihre Nachforschungen im In- und Ausland bereits erfolgreich. Das ständig aktualisierte Ergebnis ihrer Bemühungen ist durch einen Klick auf die Fotos der Website zu sehen. »Wir haben alle wichtigen Daten, die wir zu den jeweils einzelnen Personen bekommen konnten, auf unserer Seite ins Netz gestellt«, sagt Guttmann.
Über manche Reaktionen freuen sich die Mitzwe Makers ganz besonders. »Eine Dame, die aus Israel nach München gezogen ist und seit zehn Jahren das Grab ihrer Großtante vergeblich gesucht hat«, erinnert sich Guttmann, »hat sie dann auf einem von uns veröffentlichten Foto, auf dem der freigelegte Namenszug auf dem Grabstein zu sehen ist, wiedererkannt. So etwas motiviert uns natürlich sehr.«
Angehörige zu finden und mit ihnen in Kontakt zu kommen, ist ein wichtiges Ziel der Aktion. Die ehrenamtlich engagierten Helfer wünschen sich, allen etwa 800 verwaisten Gräbern ihren Namen zurückgeben zu können. »Das wird sicher noch einige Jahre dauern, da wir nur in den warmen Sommermonaten arbeiten können«, weiß Guttmann. An mangelndem Interesse aus den eigenen Reihen liegt es jedenfalls nicht, wenn das Ziel nicht von heute auf morgen erreicht werden kann. Denn bei der Andenkenpflege auf dem neuen Jüdischen Friedhof machen bis zu 15 Mitzwe Makers mit. Weitere Helfer aber, so Guttmann, seien nach vorheriger Anmeldung natürlich immer willkommen.
interreligiös Das Friedhofsprojekt ist ein weiterer Mosaikstein in der noch kurzen Vereinsgeschichte der Mitzwe Makers, die von jungen Münchner Juden ins Leben gerufen wurden. Ein abgeschotteter Zirkel innerhalb der IKG wollen sie jedoch nicht sein. Helfer sowie auch Vorstand bestehen aus Vertretern unterschiedlicher Religionen. Die Mitzwe Makers kooperieren zum Beispiel mit der Kultusgemeinde, Beth Shalom, den Jugendzentren, dem Studentenverband, dem jüdischen Altenheim, Chabad, der Sozialabteilung und dem Münchner Sozialreferat.
Geleitet werden die Mitzwe Makers von der Mission – auch über die Hilfe auf dem Friedhof hinaus –, durch karitative Projekte etwas Gutes zu tun und möglichst viele Menschen dazu zu bewegen, sich der Idee anzuschließen. »Man sollte sich immer vor Augen führen, dass jede auch noch so gering erscheinende gute Tat einen enormen Einfluss auf das Leben anderer Menschen haben kann, denen es nicht so gut geht. Das zu vermitteln, ist uns Mitzwe Makers eine Herzensangelegenheit«, erklärt Guttmann.