Wir feiern 70 Jahre Israel und die Frauen!» Nicola Galliner, Leiterin des Jewish Film Festival Berlin & Brandenburg (JFBB), kann diesmal einen weiblich und sehr israelisch geprägten Jahrgang präsentieren. 16 von 42 Produktionen stammen aus Israel, und der Anteil der von Frauen gedrehten Filme ist höher als auf den meisten Festivals: Bei 13 Dokumentar- oder Spielfilmen führten Frauen Regie. Das größte jüdische Filmfestival Deutschlands zeigt in seiner 24. Ausgabe Frauen in völlig unterschiedlichen Rollen – und seinen Zuschauern wie gewohnt Höhepunkte des jüdischen Kinos, die in dieser Fülle hierzulande sonst nicht zu sehen sind.
Von Heldinnen im Agentenmilieu erzählt Eran Riklis in Shelter – Aus nächster Distanz, basierend auf einem Roman von Shulamlith Hareven. Der israelische Regisseur, der 2008 bei der Berlinale mit dem Panorama-Publikumspreis für Lemon Tree ausgezeichnet wurde, schildert in seinem neuen Spielfilm eine Geschichte rund um eine Mossad-Agentin, die in Hamburg eine libanesische Überläuferin bewacht.
orthodoxie Im orthodoxen Milieu ist Disobedience angesiedelt: Mit Rachel Weisz und Rachel McAdams in den Hauptrollen zeichnet der chilenische Regisseur Sebastián Lelio, 2018 mit dem Oscar für A Fantastic Woman als bester fremdsprachiger Film ausgezeichnet, die Liebesgeschichte zwischen Esti und Ronit in London nach.
Lelios Verfilmung des gleichnamigen Romans von Naomi Alderman ist eine Dreiecksgeschichte, in der Esti ihrem Mann Dovid untreu wird, um zu ihrer alten Geliebten zurückzukehren. Ein berührender, melancholischer Film, der sich allerdings auch schon Kritik von Frauenseite gefallen lassen musste. Die US-Journalistin Avital Chizhik-Goldschmidt beschwerte sich im «Forward», sie sei es leid, dass orthodoxe Frauen als «Fetisch» dargestellt würden: «Ich frage mich, wann die amerikanische Rama Burshtein auf der Bühne erscheint.» Die Komödie Through the Wall der Israelin Burshtein war 2017 beim JFBB zu sehen.
Ebenfalls in der orthodoxen Szene spielt Summer – gedreht allerdings von einer Frau, die ihr Thema gut kennt. Regisseurin Pearl Gluck, die aus einer orthodoxen Familie in Brooklyn kommt, wirft in ihrem Kurzspielfilm einen Blick hinter die Kulissen eines chassidischen Feriencamps für Mädchen.
grande dame In einer charedischen Gemeinschaft aufgewachsen ist auch Yehonatan Indursky, in Israel bekannt durch die TV-Serie Shtisel über eine ultraorthodoxe Familie in Jerusalem. Das JFBB zeigt Indurskys Spielfim Driver über einen ungewöhnlichen Chauffeur in Bnei Brak – einen alleinerziehenden Vater, der für seine neunjährige Tochter sorgt. In einer Nebenrolle ist die mittlerweile 80-jährige Rivka Michaeli zu sehen, eine der populärsten israelischen Schauspielerinnen aller Zeiten.
Einer anderen Grande Dame Israels ist Rites of Passage – The Spiritual Journey of Alice Shalvi gewidmet. Die 1926 in Essen geborene Literaturwissenschaftlerin, Feministin und Zionistin berichtet darin von ihrer Zeit als Flüchtlingskind in England und von ihrer Karriere in Israel.
Vielversprechend klingt die Dokumentation Geniale Göttin – Die Geschichte von Hedy Lamarr (Regie: Alexandra Dean) über die Hollywood-Schauspielerin der 30er- und 40er-Jahre – sie wird flankiert von drei Spielfilmen mit Lamarr: Die Koffer des Herrn O.F., Ekstase und Samson and Delilah. Der neue russische Spielfilm Closeness von Kantemir Balagov (2017), ein kaukasisch-jüdisches Familiendrama, hat eine völlig andere Heldin: die rebellische Ilana, die sich auf die Suche nach ihrem entführten Bruder macht.
dokus Um die Männer nicht zu vergessen: Bei der Eröffnungsgala am kommenden Dienstag wird die Dokumentation Itzhak von Alison Chernick über das Leben des Violinisten Itzhak Perlman gezeigt. Mit viel Zuspruch kann sicherlich Kishon rechnen, eine Doku von Eliav Lilti über den israelischen Satiriker und Schoa-Überlebenden Ephraim Kishon.
The Last Laugh von Ferne Pearlstein hingegen beschäftigt sich mit der immer wieder aktuellen Frage, ob man über die Schoa lachen darf – zu Wort kommen Comedystars von Mel Brooks über Larry Charles bis Sarah Silverman.
Und in One Last Bedtime Story begeben sich Anat Zeltser und Modi Bar-On auf Spurensuche in israelischen Kinderzimmern, unter anderem des Schriftstellers David Grossman.
foxtrot Auf großes Interesse dürfte der viel diskutierte Spielfilm Foxtrot des Israelis Samuel Maoz stoßen. Beim JFBB können die Zuschauer jetzt beurteilen, ob sie die Kritik von Israels Kulturministerin Miri Regev an dem Werk teilen, das beim Filmfestival in Venedig 2017 und auch in Israel ausgezeichnet wurde.
Foxtrot beginnt mit dem Albtraum einer jeden Familie. An der Tür der Feldmans klingeln zwei Soldaten. Die Botschaft: «Ihr Sohn Jonathan ist heute Nacht im Einsatz gestorben.» In surrealem Stil zeichnet Maoz, bekannt durch Lebanon (2009), die Ereignisse am Checkpoint nach.
Wie auch immer man die teils brutalen Szenen empfinden mag, es bleibt nichts als Mitleid für die geschlagenen Eltern, wenn der Vater Zuflucht in Tanzschritten sucht: «Egal, wo du hingehst, du landest am selben Ausgangspunkt.»
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