Nachdenklich schaut die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München auf die Exponate zu Synagoge und Gemeindezentrum am Jakobsplatz. In der Ausstellung »Material Zeit – Wandel Hoefer Lorch & Hirsch« sind sie bis zum 6. März im Architekturmuseum der Technischen Universität München in der Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40, zu sehen. Dann erzählt Charlotte Knobloch dem Direktor des Museums, Winfried Nerdinger, was ihr durch den Kopf geht: Noch einmal werden ihr die Schritte bis zur Realisierung ihres jahrzehntelangen Wunschtraums bewusst. Am 6. Juli 2001 standen die Preisträger des von der Israelitischen Kultusgemeinde ausgelobten Wettbewerbs fest.
Den ersten Preis erhielt das Architekturbüro Wandel Hoefer Lorch & Hirsch aus Saarbrücken. Es folgten Jahre der Detailplanung und der engen Zusammenarbeit mit den Architekten, bis am 9. Oktober 2006 die Synagoge Ohel Jakob eröffnet werden konnte. Charlotte Knobloch ist auch an den anderen Arbeiten der Architekten interessiert. Wie zum Beispiel der Gedenkstätte Börneplatz in Frankfurt am Main. Dort befand sich über Jahrhunderte das Zentrum jüdischen Lebens dieser Stadt.
Entlang der Mauer des Alten Jüdischen Friedhofs haben die Architekten auf mehr als 11.000 Einzelblöcken an die Frankfurter Juden erinnert, die zwischen 1933 und 1945 ermordet wurden. Dem Gedenken gewidmet ist auch das Gleis 17 in Berlin-Grunewald, ein Ort, der Charlotte Knobloch immer wieder durch seine Eindringlichkeit berührt. Wie auch das Dokumen- tationszentrum Hinzert im Hunsrück. Daran wird die Bedeutung des ver- wendeten Materials, wie es auch den Titel der Ausstellung mitbestimmt, besonders deutlich. Bei dem 2006 fertig- gestellten Gebäude entwarfen die Architekten eine Hülle aus rostigem Spezial-Stahl, die aus spitz- oder stumpfwinklig zueinander versetzten Dreiecken besteht. Damit wird die spröde Rauheit erzielt, die Ziel des Entwurfs war.
Verbindung Mit dem programmatischen Titel »Material Zeit«, so erklärt Winfried Nerdinger, haben die Architekten auch die Essenz ihrer Arbeit bezeichnet, die sie als Verbindung von bestimmten Materialien mit konkreten Zeiträumen verstehen. Im Vorwort des Ausstellungskatalogs erklärt der Professor für Geschichte der Architektur und Baukonstruktion an der Technischen Universität München die Begriffe und ihre Bedeutung für die Architekten der Ausstellung.
»›Zeit‹ verweist auf den durchgängigen Diskurs der Architekten mit historischen, politischen und gesellschaftsbezogenen Themen. Architektur als Auseinandersetzung mit Fragestellungen und Antwort auf Aufgaben, die uns alle angehen und uns bedrängen, ist seit dem bereits zur Studentenzeit gewonnenen Wettbewerb zur Gestaltung des Börneplatzes in Frankfurt gleichsam der Basso continuo ihrer Arbeit. Damit wird auch die konstant reflexive Haltung der Architekten angesprochen. Jeder ihrer Entwürfe entsteht aus dem intensiven Studium nicht nur der Aufgabe, des Kontexts und des Ortes, sondern auch historischer Zusammenhänge, die umfassend recherchiert und auf spezifisch architektonische Weise integriert werden sollen.«
Die Architektur von Wandel Hoefer Lorch & Hirsch sei keine rein intuitive Formerfindung. Vielmehr refklektiere und diskutiere sie die Gestaltgebung, sagte Nerdinger weiter. »›Material‹ bedeutet zuerst ganz generell die Umsetzung einer Aufgabe und eines Konzepts in materielle Form im Sinne einer Verräumlichung von Programmen und von Antworten auf technische Probleme. In der Verbindung mit ›Zeit‹, das heißt mit dem politischen und sozialen Umfeld, wird ein Entwurf jedoch für das Team zu einer neuen Form architektonischer Praxis, bei der es darum geht, spezifische Bezüge und Sinnschichten mit dem verwendeten Material auszudrücken.«
Komplexität Es gehe Wandel Hoefer Lorch & Hirsch nicht um formale Reize und Novitäten, nicht um Experimente und Oberflächen, sondern um Wahrnehmungsprozesse, die zu einer schrittweisen Annäherung an die Komplexität eines Bauwerks führen. Hülle und Materialität eines Bauwerks würden im Kontext von Funktion und Konstruktion zu Sinnträgern. Das gilt auch für die Synagoge und das Gemeindezentrum am Münchner Jakobsplatz.
Nerdinger meint dazu: »Diese Aufladung mit Wertigkeiten erfolgt auf vielfältige Weise. So erschließt sich die Verwendung des Natursteins beim Jüdischen Zentrum in München aus der Kohärenz der Gesamtaufgabe: Die Baugruppe wird in ihrer Besonderheit innerhalb des städtischen Umfeldes markiert und durch Ausdruck und Form ihrer Materialität historisch verankert.
Bei der Synagoge ist die Sockelzone mit bossiertem Naturstein geschlossen, darüber öffnet sich der Lichtraum und zeigt das Tragwerk – der Innenraum wird konzentriert und nach oben transzendiert, Tempel und Stiftszelt werden in die Gegenwart transformiert und damit die zerstörte Geschichte des Münchner Judentums ins Bewusstsein geholt.«
Im Begleitprogramm zur Ausstellung »Material Zeit – Wandel Hoefer Lorch & Hirsch« findet am Mittwoch, 23. Februar, um 18 Uhr ein Vortrag im Ernst-von-Siemens-Auditorium in der Pinakothek der Moderne statt.
Ein Katalog zur Ausstellung ist in deutscher und englischer Sprache erschienen, hrsg. von Winfried Nerdinger, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2010, 224 S., mit 200 (150 farbigen) Abbildungen, 24,80 €