Rund 48.000 Stolpersteine hat Gunter Demnig in Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus bislang verlegt. Doch nicht alle Städte und Gemeinden finden diese Form des Gedenkens passend. Am Dienstag hat der Kölner Künstler in Leipzig gerade wieder 29 dieser pflastersteingroßen Denkmale verlegt.
Es ist ein besonderer Anblick: Rund 25 Teenager und ein paar Erwachsene stehen zwischen einem Café und einem Lebensmittelladen in der Leipziger Karl-Heine-Straße im Halbkreis. Sie halten weiße Rosen in den Händen und schauen zu, wie sich ein älterer Herr mit Hut auf dem Gehsteig zu schaffen macht. Das ist Gunter Demnig, der heute hier sechs Stolpersteine für die jüdische Familie Rosenfeld verlegt.
Erinnerung Demnig ist der Initiator des Projektes Stolpersteine, das an die von den Nazis verfolgten oder ermordeten Menschen an ihrem letzten, selbst gewählten Wohnort erinnern will. »Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist«, zitiert Demnig auf seiner Website den Talmud. An diesem Dienstag verlegt er die Plaketten im Halbstundentakt.
In Leipzig hat man dem Projekt schon vor Jahren zugestimmt. In Oldenburg oder München etwa sprechen sich die jüdischen Gemeinden gegen die Stolpersteine aus. Die Kritiker finden, es sei unwürdig, Menschen auf dem Fußboden zu gedenken, wo Passanten achtlos über die Steine trampeln, Autos darauf parken oder schlimmstenfalls Hunde ihre Notdurft verrichten.
entwürdigung Eine der prominentesten Gegnerinnen des Projekts ist Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und ehemals Präsidentin des Zentralrats der Juden. Sie erklärt: »Sprichwörtlich werden die Steine mit Füßen getreten und mit ihnen das Andenken an die im Holocaust ermordeten Menschen – unschuldige Opfer hemmungsloser Unmenschlichkeit, die Verfolgung und Entwürdigung erleben mussten, ehe man sie grausam ermordete. Es ist inakzeptabel und unbedingt zu vermeiden, dass diese Opfer in der Gegenwart und Zukunft ein weiteres Mal entwürdigt werden.«
Jehuda Wältermann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Oldenburg, empfindet das genauso: »Ich hätte ein Problem damit, wenn jemand auf dem Namen meines Vaters herumlaufen würde«, sagt er. Schließlich würden viele Menschen eben keinen Bogen um die Steine machen, um symbolisch Respekt zu zeigen.
Diesen Einwand lässt Demnig nicht gelten: »Ich halte dieses Argument, man trampelt auf den Menschen herum, wie die Nazis damals auf den Menschen herumtrampelten, für eine Verhöhnung der Opfer und für eine Verharmlosung. Denn wenn die Nazis sich damit begnügt hätten, dann hätten die Menschen blaue Flecke bekommen, aber würden noch leben. Die Nazis hatten aber ein Vernichtungsprogramm«, argumentiert Demnig. »Außerdem: Die meisten laufen ja gar nicht auf den Steinen herum, deshalb bleiben sie auch nicht blank.«
Grabsteinersatz Viele Angehörige würden sich die Steine in dieser Form wünschen, für sie sei das ein Grabsteinersatz für die Opfer, die sonst meist keineGrabstelle hätten, fügt Demnig hinzu. Das von Knobloch geforderte »Gedenken auf Augenhöhe«, also etwa durch eine Tafel an der Hauswand, ist für ihn keine Option. Die meisten Hausbesitzer würden dem niemals zustimmen, argumentiert er, deswegen sei er den Schritt in den öffentlichen Raum gegangen.
Ein Ansteigen von Antisemitismus habe er beim Verlegen in jüngster Zeit nicht bemerkt, sagt Demnig. Die Vandalismus-Schäden würden sich meist darauf beschränken, dass die Steine mit Farbe übergossen würden. Hier würden sich die lokalen Initiativen schnell um eine Reinigung kümmern. Lediglich 150 von 48.000 Stolpersteinen hätten bisher ersetzt werden müssen. »Das ist noch im Promillebereich«, sagt Demnig.
In Kassel hat man derweil ein ganz anderes Problem mit den Stolpersteinen. Eines der Mitglieder des dortigen Stolpersteine-Vereins habe sich wiederholt anti-israelisch geäußert und auf einer Demo die Verlegung von Stolpersteinen im Gazastreifen gefordert, berichtet die Gemeindevorsitzende Ilana Katz. »Diese öffentlich geäußerten Ansichten beschädigen den Versuch, mit den Stolpersteinen an die Opfer des Nationalsozialismus zu erinnern, und relativieren die Schoa. Wir lehnen es ab, die durch den Nationalsozialismus getöteten Juden gegen den jüdischen Staat Israel zu instrumentalisieren«, betont Katz.
Schüler In Leipzig ist der Tross derweil ein paar Straßen weitergezogen. Wieder stehen die Jugendlichen andächtig um Demnig herum, als dieser diesmal sieben Metallplatten für die Familie Szyia im Boden versenkt. Es sind Schüler der Max-Klinger-Schule, die für die Steine die Patenschaft übernommen haben. Sie haben die Biografien von zwei ehemaligen Schülerinnen ihrer Schule – Berta Sophie Rosenfeld und Rosa Szyia – und ihren Familien erforscht. »Das sind Personen, mit denen man sich identifizieren kann«, sagt Kevin Richter, der Teil der Projektgruppe war. »Da wird einem der Holocaust doch noch einmal nähergebracht.«
Und wenigstens darauf können sich sowohl die Kritiker wie auch die Befürworter der Stolpersteine einigen. Wenn sich Jugendliche die Lebensgeschichte der Erinnerten und die Geschichte des Holocaust selbst erarbeiten, ist das auf jeden Fall eine gute Sache – gerade in Zeiten des wiederaufflammenden Antisemitismus in Deutschland.