Elina ist ein aufgewecktes Mädchen von fünf Jahren. Jeden Morgen kommt sie in die große repräsentative Altbauvilla in der Leipziger Mothestraße. Dort spielt sie mit Daniel, Julius, Karina und den anderen. Elina findet Vorlesen gut und draußen rumtoben auch. Das an ihrer Gruppe etwas Besonderes ist, weiß sie auch: »Wir feiern Schabbat, wir sind eine jüdische Gruppe.« Sonst ist alles ganz normal, findet sie. Elina und die anderen sind jüdische Kinder, Kinder russischsprachiger Zuwanderer, zumindest die meisten von ihnen. Zu Hause spricht Elina Russisch, im Kindergarten Deutsch.
Ihre Erzieherin heißt Ulrike Stapel, die Kinder sagen Ulrike zu ihr. Sie ist keine Jüdin. Ihre Liebe gehört nur dem Judentum, wie sie sagt. Die Stelle als Erzieherin in der jüdischen Gruppe war ausgeschrieben und »die Kinder und ich, wir haben uns gefunden«. Seit September vergangenen Jahres betreut die junge Frau Elina, Daniel und die anderen, und es macht ihr viel Spaß. Eigentlich hat sie Afrika- und Nahostwissenschaften studiert.
Vieles über den jüdischen Glauben musste sie selbst erst einmal lernen. Sie hat einen direkten Draht zur Israelitischen Religionsgemeinde in Leipzig, das macht vieles leichter. Das bestätigt auch Josif Beznosow, der Geschäftsführer der Leipziger Gemeinde, die etwa 1.300 Mitglieder zählt. »Wir sind sehr zufrieden. Die Kinder lernen ein bisschen die jüdischen Gebräuche kennen und Hebräisch. Außerdem haben sie Kontakt mit nichtjüdischen Kindern.« Auch mit der Arbeit von Ulrike Stapel ist Josif Beznosow zufrieden: »Sie gibt sich viel Mühe.«
Eigenständig Die Gruppe ist autonom innerhalb der Einrichtung für Kinder in der Eutritzscher Mothestraße. Das liegt nicht zuletzt am jüdischen Jahreskalender. Die Kinder feiern eben nicht Weihnachten und Ostern, sondern Chanukka und Pessach. Das jüdische Jahr beginnt auch nicht am 1. Januar, sondern Ende September.
Ulrike Stapel legt viel Wert darauf, dass die Kinder Deutsch sprechen, auch untereinander, und nicht Russisch wie zu Hause, denn die meisten kommen aus der ehemaligen Sowjetunion. »Die deutsche Sprache ist wichtig, damit sie später in der Schule gut mitkommen«, meint Stapel.
Generell ist der Andrang auf die etwa 15 Plätze in der jüdischen Gruppe groß. Die Leiterin der Einrichtung Christine Reichel bestätigt: »Es gibt eine Warteliste.« Allerdings sind die Raumkapazitäten derzeit begrenzt. Daher können keine zusätzlichen Kinder aufgenommen werden. Immer mehr jüdischen Eltern ist wichtig, dass die Regeln ihres Glaubens auch im Kindergarten eingehalten werden. Zum Beispiel dem Vater von Karina. Er selbst erfuhr erst im Alter von zwölf Jahren, dass er Jude ist. Jetzt möchte er, dass seine sechsjährige Tochter mit dem Glauben aufwächst.
Schabbatfeier Freitags feiern die Kinder den Schabbat, den Ruhetag. Eigentlich beginnt er ja am Freitagabend und endet am Samstagabend, doch da ist der Kindergarten geschlossen. Die kleinen Jungen setzen die Kippa auf, die Mädchen zünden Kerzen an und alle nehmen etwas von der Challa.
Das Essen ist überhaupt sehr wichtig. Es gibt eine extra Köchin für die jüdischen Kinder, die koschere Speisen zubereitet. Heute gibt es Gemüsesuppe. Natürlich müssen Milch und Fleisch streng getrennt werden. Es gibt jeweils extra Geschirr. Und die Köchin Galina hat zwei Herde – einen für milchige Speisen und einen für fleischige.
Zweimal die Woche kommt die Mutti von Miriam in die Gruppe, es ist Galina Kapitanowa. Sie spricht mit den Kindern über die jüdische Religion, singt und tanzt mit ihnen und freitags feiert sie mit ihnen Schabbat. Die Kinder lernen Hebräisch, und in regelmäßigen Abständen kommt Rabbiner Szolt Balla zu Besuch. Ausgebildete Religionslehrerin ist Galina Kapitanowa zwar nicht, doch sie kennt sich sehr gut in der jüdischen Tradition aus.
Die jüdische Gruppe gibt es seit 2005. »Damals bekamen wir eine Anfrage von der Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland, ob wir eine solche Gruppe einrichten würden«, erinnert sich Carmen Helmeke vom Internationalen Bund (IB), dem Träger des Kindergartens, es ist die einzige Gruppe in Leipzig dieser Art. Der IB war sofort einverstanden.
Berührungsängste Umbauten waren notwendig: zum einen für die koschere Küche, zum anderen bekamen die Kinder einen eigenen Raum. Dort spielen und lernen sie, bewegen sich aber genauso im Haus wie die anderen auch. Erzieherin Ulrike Stapel verhehlt nicht, dass sie Berührungsängste anderer Eltern festgestellt hat: »Wir gehen damit aber sehr offensiv um.« Gerade beschäftigen sich die Kinder mit der Tora, den fünf Büchern Moses. Daniel, Julius und Karina rufen durcheinander, jeder will etwas sagen. Da unterscheiden sie sich keinen Deut von nichtjüdischen Kindern.