Stuttgart

Spätzle marokkanisch

Die Brüder Aurel Mosche und Richard Mordechai Jäger bewirtschaften seit Kurzem das Restaurant Teamim. Foto: Brigitte Jähnigen

Was geschieht, wenn der Tscholent statt mit Pfeffer, süßem Paprikapulver und Petersilie mit Kreuzkümmel, Kurkuma und Zimt gewürzt wird? »Dann haben wir Hamin, die orientalische Variante dieses beliebten Schabbatgerichtes«, sagt Aurel Mosche Jäger. Und die, da ist sich der Profikoch sicher, weckt neue Geschmacksnerven auch bei traditionell gestimmten Essern.

Aurel Mosche Jäger (32) und sein Bruder Richard Mordechai Jäger (36) sind seit dem 1. März dieses Jahres Pächter und Köche im Restaurant der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW). Der neue Name des Restaurants, »Teamim«, ist Programm: Er bedeutet auf Hebräisch so viel wie »Geschmacksvielfalt«.

couscous Mehr als 130 Portionen müssen die beiden Köche pro Woche für die Kinder der Tagesstätte, der Grundschule, für die Bewohner des Altenheims und die Mitarbeiter der IRGW auf den Tisch bringen.

Gesund und nahrhaft soll das Essen sein. Doch nach ihren ersten Erfahrungen haben die Brüder die Vorgaben der Gemeinde – einmal pro Woche Fisch, zweimal Fleisch, zweimal vegetarisch – variiert.

»Es bringt gar nichts, wenn wir den Kindern Rote-Bete-Salat oder Spinat zubereiten, denn wenn sie es nicht anfassen, gehen sie mit knurrendem Magen nach Hause«, sagt Aurel Mosche Jäger. Noch immer knobelt er mit seinem Bruder, wie gesundes Essen mit den Vorlieben der Kinder (»am liebsten Nudeln mit Tomatensoße«) zusammengehen könnte.

Immerhin: Die Beilagen Couscous und Kartoffelbrei wurden bisher gern gegessen. Und als kürzlich eine hoch angesehene Erwachsenen-Gästeschar zu bekochen war, bedankten sich die Restaurantbesucher mit den Worten: »Wir haben noch nie so gut jüdisch gegessen, schon gar nicht in Stuttgart.« Wenn das kein Ansporn ist!

nachbarin Woher aber nehmen die Jägers den Mut, trotz aller Alltagsverbindlichkeiten neue kulinarische Wege zu gehen? »Wir haben ungarisch-deutsche Wurzeln und sind in Israel aufgewachsen«, sagt Richard Mordechai Jäger.

So duftete es in Kindheitstagen nicht nur nach Pörkölt, dem ungarischen Gulasch, sondern auch aus den Kochtöpfen der Nachbarin nebenan. Und die kochte marokkanisch. »In der Gemeinde leben Israelis, die vermissten bisher die orientalische Variante der Küche«, sagen die beiden Brüder. Denn »die« jüdische Küche gebe es ja nicht.

Jüdische Traditionen entwickelten sich in 2000 Jahren Diaspora in viele Richtungen. So pflegten die Gemeinden ihren jeweils eigenen Lebensstil, wurden aber von den Kochkünsten und Gerichten der Kulturen ihrer Umgebung stark beeinflusst. Unterschiede zu den nichtjüdischen Nachbarn entstanden vor allem durch die jüdischen Speisegesetze.

kaschrut Auch in der Stuttgarter Küche geht es koscher zu. Ocampa Calva ist als Maschgicha, Kaschrutaufsicht, für die Kontrolle der Speisen zuständig und wird dabei von Landesrabbiner Netanel Wurmser unterstützt.

»Einkaufen in Stuttgart« ist zwar ein bekannter Slogan in der baden-württembergischen Landeshauptstadt, doch koschere Zutaten sind nicht zu finden. Sie müssen aus anderen deutschen Städten, Frankreich oder Israel beschafft werden. Ausgenommen Salat, Gemüse und Reis – die werden vor dem Kochen und Anrichten genauestens überprüft.

»Wir verwenden keine Konserven, wir kochen frisch«, betont Richard Mordechai Jäger. Viel Arbeit also in der Küche, wenn Hummus und Tahina, jede zweite Woche Tscholent, Matbucha (gekochter Tomatensalat) und jeden Schabbat 40 Challot hergestellt werden wollen. Vorbild für die Brüder sind die Kochkünste der Mutter. »Sie hat goldene Hände und arbeitet wie ein Artist«, schwärmen sie.

hochzeiten Aurel Mosche war schon eine Zeit lang in Deutschland, als ihm sein Bruder Richard Mordechai folgte. »Ich musste bisher in meinem Leben keine schwierigen Entscheidungen treffen«, sagt Aurel. Arbeit, Liebe, jetzt der neue Job – alles sei »wie von selbst« gekommen.

Sein Bruder Richard Mordechai hat, bevor er nach Stuttgart kam, die Gemeinde in Pforzheim bekocht. Wichtige Erfahrungen haben die Brüder aus Israel mitgebracht. »Wenn geheiratet wird, müssen manchmal mehr als 1000 Gäste bekocht werden, das haben wir dort alles schon gemacht«, sagen sie.

Ganz so groß wird in der nächsten Zeit der Ansturm in Stuttgart wohl eher nicht sein. Doch in den Verhandlungen mit dem Vorstand der IRGW wegen der Finanzierung der Sanierung von Küche und Restaurant würden die beiden Köche sich gern grünes Licht holen.

Das Statement von Barbara Traub indes klingt noch zurückhaltend: Die Rückmeldung von der Gemeinde sei zwar »positiv«, aber über Geld sei »im Detail noch nicht gesprochen« worden, so die Vorstandssprecherin der IRGW. Man wolle erst einmal »die nächsten sechs Monate abwarten«. Allerdings, fügt Barbara Traub hinzu, sei es »erfreulich, dass die Brüder Jäger planen, sich hier niederzulassen«.

Die Jägers sind also wirklich ins kalte Wasser gesprungen, losgeschwommen und wollen in Stuttgart wurzeln: Im Sommer heiraten beide. Aurel Mosche und Richard Mordechai Jäger sind dann wohl ganz in Deutschland angekommen.

Restaurant Teamim, Hospitalstraße 36, telefonische Reservierung unter 0711/228360

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