Hanna Veiler (24), Stuttgart
Für mich ist der Gedanke von Israel als sicherer Hafen für alle Jüdinnen und Juden auf der Welt ganz, ganz wichtig. Ich weiß, ich könnte als Jüdin nicht so aktiv in der Öffentlichkeit stehen, wenn ich nicht wüsste, dass, wenn es hart auf hart kommt und ein Leben in Deutschland oder Europa für uns nicht mehr möglich ist, es dann immer noch Israel gibt. Ich finde, dass es vor allem durch die neue Regierung in Israel zurzeit eine gefährliche Entwicklung gibt. Ich habe die Sorge, dass für mich der sichere Hafen dort verloren geht und Israel sich so verändert, dass es kein Land mehr ist, in dem ich mir vielleicht eine Zukunft vorstellen kann. Auf der anderen Seite bin ich aber unglaublich stolz, zu sehen, wie viele Tausend Menschen dort wöchentlich auf die Straße gehen, welchen großen Widerstand es gibt und welches Demokratieverständnis herrscht. Ich denke, für uns in Europa ist es ungewöhnlich, dass Menschen mit dieser Standhaftigkeit für die Demokratie einstehen und wirklich verstehen, worum es geht und was auf dem Spiel steht.
Alexander Shif (57), Würzburg
Natürlich ist mir das Land sehr wichtig, auch wenn ich kein Israeli bin. Ich engagiere mich in Würzburg auch im interreligiösen und interkulturellen Dialog. Ein Jahr lang habe ich in Israel in einer orthodoxen Schule gelernt. Selbstverständlich verfolge ich das aktuelle Geschehen, diskutiere mit Freunden und höre unterschiedliche Meinungen dazu, an welchem Punkt Israel sich gerade befindet. Meiner Meinung nach läuft alles in einem demokratischen Rahmen. Allerdings ist ein Teil nicht mit den Plänen und den Gesetzentwürfen der neuen Regierung einverstanden, was zur Demokratie gehört. Das Land scheint gespalten zu sein, und damit alle wieder näher zueinander kommen, müsste eine Lösung her. Die Mitglieder verschiedener Gruppen agieren unterschiedlich, manche demonstrieren, was ihr gutes Recht ist. Ich wünsche mir, dass es wieder ruhiger in Israel wird – und zwar ohne Gewalt und ohne Druck von außen.
Lala Süsskind (77), Berlin
Ich bin traurig und wütend, denn ich sehe die Demokratie gefährdet. Der Gedanke, dass das Parlament mit einer einfachen Mehrheit Entscheidungen des Gerichts kippen könnte, macht mich fassungslos. Ich bin zwar keine Israelin, aber ein Teil meines Herzens ist in dem Land. Ich kann nicht nachvollziehen, dass ein Politiker, der wegen Rassismusvorwürfen angeklagt wurde, in der Regierung sein kann. Kürzlich war ich dort und habe die Demos erlebt, die weitergehen. Gott sei Dank. Wir können nur hoffen, dass die Regierung mit der Justizreform nicht durchkommt. Das Land ist gespalten. Manche haben wahrscheinlich bei der Wahl gedacht, dass Netanjahu Zucht und Ordnung schaffen würde. Aber nun beklagen wir so viele Opfer auf beiden Seiten, Palästinenser und Israelis, wie in keiner Legislaturperiode zuvor. Wenn Siedler ein arabisches Dorf überfallen, kann ich es nicht gutheißen. Das ist nicht unsere Religion.
Mike Khunger (29), Münster
Wenn ich als Jurist die geplanten Gesetzesentwürfe betrachte, kann ich Bauchschmerzen bekommen, denn die Gerichte sind da, um den Einzelnen zu schützen. Allerdings verfügt Israel über keine Verfassung. Auch beschreibt die Unabhängigkeitserklärung nur den Charakter des Landes. Mehr Sorgen mache ich mir allerdings um die Bevölkerung als um die Reform. Wenn sich immer mehr Israelis von dem Land distanzieren, weil sie es nicht mehr als ihr Land sehen, dann wird es schwierig. Freunde von mir, die Reservisten sind, sagen nun, dass sie in einer Diktatur nicht mehr beim Militär dienen wollen. Dass Israel so ein starkes Militär hat, hängt mit der Demokratie zusammen. Es geht um den Charakter des Landes – und das bereitet mir große Sorgen. Mit Freunden und meiner Familie, die in Israel leben, tausche ich mich viel aus. Ich möchte keine Spaltung der Bevölkerung. In den vergangenen drei Jahren hat es fünf Wahlen in diesem kleinen Land gegeben – und die Anhänger der Politiker hören immer, wie schlecht die anderen sind. Das hinterlässt Spuren. Ich wünsche mir, dass die Politiker nicht nur an ihre eigenen Vorteile denken, sondern sich an die Geschichten von Purim, Pessach und der Zerstörung der zwei Tempel erinnern. Bitte keine zwei jüdischen Völker in Israel!
Sharon Spievak (30), Düsseldorf
Meine Eltern sind in Israel geboren und aufgewachsen. Ich selbst bin in Deutschland zur Welt gekommen und bin sowohl deutsche als auch israelische Staatsbürgerin. Der gesamte Rest meiner Familie lebt nach wie vor in Israel. Ich besuche das Land häufig, unter anderem regelmäßig als Madricha von »Taglit«, einem Programm, das jungen Jüdinnen und Juden ihre eigenen Wurzeln sowie Israel näherbringen soll. Ich mache das, weil ich finde, dass das Land nicht von unserer jüdischen Identität zu trennen ist. Auch aktuell befinde ich mich wieder mit einer Reisegruppe in Israel und bin überrascht von der guten Stimmung, die ich hier erlebe. In den Medien wird die Situation sehr fatalistisch gezeichnet, und die Spaltung der israelischen Gesellschaft macht mir auch viel zu schaffen. Aber wenn ich die fröhlichen Gesichter der Demonstranten und die vielen Israel-Flaggen, die sie dabeihaben, sehe, dann schöpfe ich Hoffnung. Das zeigt mir: Wir haben in Israel eine sehr wehrhafte Demokratie, und die Menschen können hier, anders als in Iran, demonstrieren gehen. Ich bin nach wie vor stolz auf die israelische Demokratie!
Rami Suliman (66), Pforzheim
Ich kritisiere sehr, was gerade in Israel passiert. Ich bin dort geboren, war dort beim Militär, habe im Land Familie und Freunde und bin zig Mal im Jahr dort. Obwohl ich seit 40 Jahren in Deutschland lebe, ist Israel immer noch meine Heimat. Ich verfolge die aktuellen politischen Ereignisse sehr intensiv. Ich lese Zeitung, schaue Fernsehen und höre Radio. Das ist wie eine Infusion für mich – ich muss genau wissen, was dort los ist. Ich bin aktuell sehr, sehr besorgt um die Demokratie in Israel. Meine Angst ist, dass Israel seine unabhängigen Gerichte und Schritt für Schritt auch seinen demokratischen Charakter verlieren könnte. Ich probiere dennoch immer, zu trennen zwischen Israel als Land und der Politik der aktuellen Regierung. Mein Wunsch ist, dass in Israel Vertreter aller politischen Richtungen zusammenkommen, um dem Land eine Verfassung mit jüdisch-demokratischem Charakter zu geben. In einem auf ein, zwei oder mehrere Jahre angelegten Prozess müssten sie eine grundlegend neue Ordnung für das Land finden.
Dorina Sandberg (50), Tel Aviv und Frankfurt
Den schönsten Satz zur aktuellen Lage habe ich neulich in einem Café in Tel Aviv gehört: »Wir sind kein Volk, das es mit sich machen lässt.« Ursprünglich stammt er von dem Autor Yuval Noah Harari. Als ich diese Worte hörte, musste ich schmunzeln. Hier gehen die Leute auf die Barrikaden, um zu zeigen, dass sie es sich nicht gefallen lassen. Am Anfang waren es nur ein paar Anwälte, die demonstrierten, so habe ich es beobachtet. Nun kommen Hunderttausende – und damit hat die neue Regierung nicht gerechnet. Ich glaube nicht, dass sie mit der Reform durchkommt. Für »unser« Land tut es mir leid, es ist ein bisschen so, als wenn ein Familienmitglied als Dieb identifiziert wird – denn das passiert doch nur anderen und nicht in der eigenen Familie. Was mich stört, ist die Wahrnehmung im Ausland. Da habe ich das Gefühl, dass Israel mit zweierlei Maß bewertet wird. Polen und Ungarn haben es ja vorgemacht. Was in Italien passiert, weiß noch keiner. Und zur Erinnerung: Was war, als Merkel in der Corona-Zeit Gesetze am Parlament vorbei erlassen hatte? Da gab es keinen Aufschrei. Hier wehrt man sich – und das ist genau richtig.
Shmuel Rubens (71), Paderborn
Mein Herz blutet. Wenn ich mit meinem Bruder und Freunden telefoniere, die in Israel leben, geht es immer um die neue Regierung und die gerade herrschende Gewalt in dem Land. Ich lebe seit 1981 in Deutschland und habe mich immer als Botschafter Israels gesehen. Aber nun empört mich die Willkür. Ich bin beunruhigt, dass unser Israel kaputt gemacht wird. Es regieren vorbestrafte, kriminelle Politiker, was die Gesetze nicht erlauben. Die Brutalität gegen die Protestanten wird immer heftiger, und obwohl so viele auf die Straße gehen, bewirken sie nichts. Die Demokratie sehe ich in Gefahr. Wenn jetzt auch noch die Regierenden über die Zusammensetzung des Gerichts entscheiden, anstatt wie bisher die Experten, dann fürchte ich, dass bald eine Diktatur herrscht. Und das brutale Vorgehen im Westjordanland lehne ich ab. Man sieht, dass Netanjahu sich nicht traute, seinen eigenen Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, zu bremsen. Innerlich bin ich sehr traurig. Aber die Israelis sind nun immerhin wach geworden.
Jehuda Wältermann (57), Oldenburg
Meine Schwiegereltern sind bei jeder Demo dabei, obwohl sie über 80 Jahre alt sind. Ich betrachte die Entwicklung in Israel mit großer Sorge. Es muss eine Lösung gefunden werden. Schon in den 80er-Jahren gefiel es mir nicht, dass Siedler sich im Westjordanland niederließen. Ich möchte wegkommen von der Siedlungspolitik. Schlimm finde ich auch, wie Netanjahu an seinem Stuhl klebt und sich auf diese Koalitionspartner einließ, von denen einer wegen einer Straftat verurteilt ist. Die Koalitionspartner bezeichnen sich zwar als streng religiös, aber viele ihrer Verhaltensweisen und Bestrebungen lassen sich für mich nicht mit der Tora vereinbaren. Wenn ich die menschenverachtenden Sprüche dieser Politiker in den Nachrichten höre, dann könnte ich einen Stein auf den Fernseher werfen. Wenn in Deutschland Vorbestrafte ins Parlament kommen würden, dann gäbe es einen Aufschrei. Was ich auch nicht verstehe, ist, warum Israel es nicht schafft, endlich eine Verfassung hinzubekommen. Vielleicht sind die Israelis nun aufgeschreckt und werden bei der nächsten Wahl ihre Stimme gemäßigten Politikern geben.