Würdigung

Sohn der Stadt

Am 20. Juli jährte sich der Geburtstag von Schalom Ben Chorin sel. A. zum 100. Mal. Gemeinsam mit zahlreichen anderen Münchner Institutionen organisierte die Kultusgemeinde am Sonntag, dem 21. Juli, zu Ehren des 1913 als Fritz Rosenthal in München geborenen Religionswissenschaftlers eine große Gedenkveranstaltung. Zum Festakt waren die beiden Kinder von Schalom Ben Chorin, Rabbiner Tovia Ben-Chorin und Ariela Kimchi Ben-Chorin, extra nach München angereist.

»Isar und Jordan sind weit voneinander entfernt, doch sie münden in ein Herz.« Diesen Satz schrieb Schalom Ben-Chorin in seinem Buch Jugend an der Isar. Präsidentin Charlotte Knobloch zitierte ihn zum Auftakt der Gedenkveranstaltung. »Dieses Zitat«, sagte Knobloch, »spiegelt seine Zerrissenheit – oder lassen Sie es mich positiv ausdrücken: seine geteilte Liebe – wieder.« Sein Lebensmittelpunkt sei Jerusalem gewesen, aber als seine Heimat habe er die deutsche Sprache gesehen, in der er dachte und schrieb und aus der er niemals ausgewandert sei, so Knobloch.

Ebenso wie seine Sprache bewahrte Schalom Ben-Chorin sich stets seine Freiheit und seine Unabhängigkeit im Geiste, erinnerte sich Knobloch an den Verstorbenen. »Sie war es, die ihn ab den 50er-Jahren immer wieder mit Freude, und nicht mit Zorn und Verbitterung, nach Deutschland zurückführte.« Politik und Kirchen in Deutschland, so Knobloch, hätten das Gespräch mit ihm gesucht und in ihm einen Partner zur Aufnahme des jüdisch-christlichen Dialogs gefunden.

»Er war eine glaubwürdige, kritische Persönlichkeit, die zum interreligiösen Dialog bereit und willens war.« Dieser Einsatz Ben-Chorins »war der Beginn einer intensiven, fast 40-jährigen Vortrags- und Publikationstätigkeit für Versöhnung, Dialog und den Frieden, den er im Namen trug.«

Glocken Für die Stadt München erinnerte Kulturreferent Hans-Georg Küppers an den großen Sohn der Stadt. Er zitierte aus Ben-Chorins Erinnerungen Jugend an der Isar und ging auf das »Glockenspiel« ein. Damit ist nicht die Touristenattraktion im Rathausturm gemeint, sondern der Klang der verschiedenen Kirchenglocken, dem der junge Fritz Rosenthal vom Monopteros im Englischen Garten aus lauschte. »Nur wer die Symphonie der heimatlichen Glocken so kennt, scheint mir ganz zugehörig zu sein, so sehr es ihm bestritten sein mochte«, zitierte Küppers Ben-Chorin, der im Jahr 1935, nach Verhaftungen und Misshandlungen durch die Nazis, mit seiner Frau Gabriella nach Palästina emigrierte.

München blieb Ben-Chorin in den Folgejahren nicht in ferner Erinnerung. Bereits 1956 besuchte er zum ersten Mal nach der Schoa wieder seine Heimatstadt. Der Wunsch nach Verständigung mit den Deutschen gehörte schon damals zu seinen größten und wichtigsten Anliegen.

Wie wichtig und unvergessen Schalom Ben-Chorin auch rund 15 Jahre nach seinem Tod den Menschen in München ist, zeigte ein Blick auf die Redner der Gedenkveranstaltung. Zu ihnen gehörte Jan Mühlstein, Vorsitzender der Liberalen Jüdischen Gemeinde München Beth Shalom, Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, sowie Bischofsvikar Rupert Graf zu Stolberg vom Erzbistum München und Freising. Den musikalischen Rahmen des Abends gestaltete der Lukas-Chor München unter Leitung von Gerd Kötter. Begleitet wurde der Chor von Danijel Drilo am Piano, Kantor Moshe Fishel und Yoed Sorek.

Kinder Wie die Privatperson Schalom Ben-Chorin gewesen ist, darum drehte sich vieles im Gespräch von Moderatorin Amelie Fried mit dessen Kindern Tovia und Ariela. Hier wurde der Vater hinter dem großen Gelehrten lebendig. Bilder aus dem Familienalbum gaben zudem einen Eindruck von seinem Leben in Jerusalem.

Darüber hinaus sprachen Fried und die Kinder von Ben-Chorin auch über dessen Jerusalemer Arbeitszimmer. Dieses wurde nach seinem Tod am 7. Mai 1999 nach München gebracht und steht seitdem im Stadtarchiv. Dort ist es so aufgebaut, wie es das Ehrenmitglied der Israelitischen Kultusgemeinde München, der Träger des Bayerischen Verdienstordens, des Großen Bundesverdienstkreuzes mit Stern und vieler anderer Ehrungen genutzt hatte.

Ganz still wurde es dann im voll besetzten Saal, als Ben-Chorins Witwe Avital zu Wort kam. Die geplante Reise nach München hatte sie aus gesundheitlichen Gründen nicht antreten können. Mittels Videobotschaft brachte sie den Gästen die Persönlichkeit ihres Mannes nahe: den Familienvater, den Religionswissenschaftler und den Brückenbauer, für den der Dialog immer das wichtigste Mittel für ein friedliches und tolerantes Miteinander waren.

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