Die Gedenkfeier der Israelitischen Kultusgemeinde auf dem jüdischen Friedhof in der Garchinger Straße in Nord-Schwabing ist längst zu einem festen Bestandteil des Volkstrauertages in München und Umgebung geworden. In diesem Jahr, genau 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs, der »geschichtlichen Urkatastrophe«, wie ihn IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch charakterisierte, galten die Gedanken und Gebete den jüdischen Soldaten, die damals fürs Deutsche Kaiserreich in den Krieg zogen und starben.
Den Stellenwert der Veranstaltung, zu der auch eine Kranzniederlegung mit militärischem Zeremoniell zählte, unterstrichen die vielen namhaften Vertreter des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens. In Vertretung von Ministerpräsident Horst Seehofer, dessen Namenszug auf der Schleife eines prächtigen blau-weiß geschmückten Kranzes stand, war Staatssekretär Bernd Sibler vom Ministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst erschienen.
Bundeswehr Oberst Ralf Klewin-von Fintel, stellvertretender Kommandeur und Standortältester der Fürst-Wrede-Kaserne, repräsentierte die Bundeswehr, ebenso Merith Niehuss, Präsidentin der Münchner Universität der Bundeswehr. Stadtrat Michael Kuffer kam für den Oberbürgermeister. Vertreten waren außerdem der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, die B’nai B’rith Loge, die Vereinigung »Gegen Vergessen – Für Demokratie« und die Bezirksausschüsse.
Als eine »fast vergessene Wahrheit«, eine »Facette im Weltenbrand«, die ins kollektive Bewusstsein gerufen werden müsse, bezeichnete Charlotte Knobloch die Tatsache, dass deutsche Juden zu Beginn des 20. Jahrhunderts »glühende Patrioten« gewesen seien. Mehr als 11.500 Juden meldeten sich allein in den ersten Kriegswochen freiwillig zum Dienst an den Waffen.
»Es waren Männer aus allen Altersgruppen und sozialen Schichten«, erklärte Charlotte Knobloch. Der Aufruf des Verbands der Deutschen Juden und des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens habe fast alle Juden im Deutschen Reich erreicht. »Unter ihnen auch der einzige jüdische Reichstagsabgeordnete, Dr. Ludwig Frank aus Mannheim, sowie der Präsident des FC Bayern München, Karl Landauer.«
assimilierung Oberst Ralf Klewin-von Fintel brachte in seiner Rede noch einen weiteren Namen in Verbindung mit dem Patriotismus der deutschen Juden vor 100 Jahren: Leo Löwenstein, Chemiker und Physiker aus Aachen. Heute trägt eine von drei Bundeswehrkasernen in seiner Heimatstadt seinen Namen. Das, so Oberst von Fintel, sei der adäquate Ausdruck, um der Rolle der Juden in der Geschichte Deutschlands gerecht zu werden. Er bezog sich in seiner Rede auch auf Löwensteins revolutionäre Erfindung der Schallmessung, die die Kriegsführung beeinflusste und die Löwenstein der Armee patentfrei zur Verfügung gestellt hatte.
Vorübergehend, auch nach den Pogromen am 9. November 1938, sei er wegen seines Ansehens unbehelligt geblieben. Doch dies sollte sich kurz darauf rasch ändern: »1940 kamen er und seine Frau zur Zwangsarbeit, 1943 wurden sie ins Konzentrationslager nach Theresienstadt deportiert«, führte von Fintel aus. Doch Löwenstein und seine Frau überlebten die Schoa und ließen sich nach dem Krieg in Schweden, später in der Schweiz nieder.
»Ihr Traum, anerkannte Deutsche zu sein, war eine trügerische Hoffnung und endete tödlich«, erinnerte Charlotte Knobloch an den damals immer heftiger werdenden Judenhass, von dem auch ihre eigene Familie betroffen war. »Männer wie mein Vater wurden höhnisch verlacht, als sie ihre Eisernen Kreuze vorlegten, im verzweifelten Versuch, den perfiden, quälerischen Schikanen der Nazis zu entkommen. Tapferkeit und Verdienste von einst galten nicht mehr. Sie schützten weder vor Berufsverbot und Ausgrenzung noch vor Diffamierung, Vertreibung und Tod.«
ehre Staatssekretär Bernd Sibler und Stadtrat Michael Kuffer forderten auch angesichts dieser Geschichte dazu auf, aus der Vergangenheit die richtigen Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen. »Es wird Zeit«, erklärte Sibler, »den jüdischen Soldaten, die für ihr Vaterland im Krieg ihr Leben ließen, endlich eine besondere Ehre zuteilwerden zu lassen.«
Charlotte Knobloch mahnte in diesem Zusammenhang, wie wichtig es sei, die Erinnerung wachzuhalten, da »bestürzend wenige Menschen« von diesen Kapiteln der deutschen Geschichte wüssten. »Diese Unwissenheit ist der Nährboden für Ressentiments, fehlende Empathie und den hartnäckigen Antisemitismus, die nach wie vor in unserer Gesellschaft verwurzelt sind. Das haben wir in diesem Sommer völlig unvermittelt und doch einmal mehr zu spüren bekommen. Wir Juden waren wieder übelsten Anfeindungen ausgesetzt. Sie trafen uns mit voller Wucht.«
An Politik und Gesellschaft richtete Knobloch die Forderung, wachsam und sensibel gegenüber allen Formen von Antisemitismus und Extremismus zu sein und mit Mut und allen Mitteln, die Recht und Gesetz bieten würden, dagegen vorzugehen. Eine konsequente und konkrete Umsetzung wäre zum Beispiel ein Verbot der NDP. »Das ist längst überfällig«, betonte sie. »Die Vorfälle in den vergangenen Jahren belegen, wie das braune Gedankengut unsere Gesellschaft vergiftet.«
Zu einem Verbot gehöre auch, die bestehenden Strukturen der Neonazis dauerhaft zu zerschlagen. »Dasselbe«, so Knobloch, »gilt für die hasserfüllten, gewaltbereiten Islamisten, die unser friedliches Gemeinwesen gefährden.«