Die WIZO Frankfurt war am Holocaust-Gedenktag Teil einer weltweiten Aktion: Im Rahmen ihrer Veranstaltungsreihe »WIZO gets in touch« lud sie zur Vorführung des Dokudramas Who Will Write Our History ins Philanthropin im Nordend ein. Der Film der amerikanischen Regisseurin Roberta Grossman über das Geheimarchiv im Warschauer Ghetto wurde simultan in 55 Länder übertragen. Abschluss des Abends war eine globale Facebook-Diskussion mit Grossman und Produzentin Nancy Spielberg, die das Frankfurter Publikum aufmerksam verfolgte.
Nicole Faktor vom Frankfurter WIZO-Vorstand hatte das bewegende Event mit der Vorstandskollegin Cathy Miller, der I.E.-Lichtigfeld-Schule, der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und dem Netzwerk »Frauen mit Format« organisiert. Faktor hatte Grossman vor zwei Jahren in Los Angeles kennengelernt. Ende 2018 begannen dann die Vorbereitungen für das Screening-Event. Schnell waren alle 300 Tickets ausverkauft, das Philanthropin bis auf den letzten Platz gefüllt.
»Wir sind stolz, Teil dieses globalen Ereignisses zu sein.«Nicole Faktor
Nicole Faktor sagte: »Wir sind stolz, Teil dieses globalen Ereignisses zu sein. Jüdische und nichtjüdische Menschen sind heute hier zum gemeinsamen Gedenken an den Holocaust zusammengekommen. Das ist das Ziel von ›WIZO gets in touch‹: Berührungsängste nehmen und Brücken bauen, um Fremdenhass und Antisemitismus entgegenzuwirken.«
Das Screening-Event Who Will Write Our History war die vierte Veranstaltung der Reihe, die Frankfurter Zuschauer Teil eines weltweiten Ereignisses werden ließ. Zigtausende Menschen hatten sich zur selben Zeit in Museen, Kinos und Theatern versammelt: im United States Holocaust Memorial Museum in Washington D.C., im Museum of Tolerance in Los Angeles, im Emanuel Ringelblum Jewish Historical Institute in Warschau und an über 300 weiteren Orten von Alaska bis Australien, von Mexiko bis Madagaskar, von Kanada bis Kasachstan.
Unesco Aus dem Hauptquartier der UNESCO in Paris begrüßten Generaldirektorin Audrey Azoulay und Eric de Rothschild, Präsident von Mémorial de la Shoah in Paris, per Facebook die Zuschauer rund um den Globus. Auch in Frankfurt verfolgte man gespannt die Reden, bevor Nicole Faktor und Cathy Miller auf die Bühne traten. Miller appellierte an die Gäste: »Es reicht nicht, uns nur zu erinnern. Wir müssen handeln. In einer Welt, in der die Aufrufe zu Gewalt und Hass immer lauter, Respekt und Toleranz immer häufiger überschritten werden, müssen auch wir lauter werden. Die Verantwortung liegt bei jedem Einzelnen.«
Auch viele junge Leute waren ins Philanthropin gekommen. Als Who Will Write Our History lief, war es still im Saal – so eindringlich, bedrückend und bewegend sind die Bilder. Der Film, in dem sich dokumentarische und nachgespielte Szenen abwechseln, basiert auf dem Buch von Samuel Kassow. Er erzählt die Geschichte des Historikers Emanuel Ringelblum, der mit 60 Mitstreitern das Geheimarchiv »Oneg Schabbat« (»Freude am Schabbat«) im Warschauer Ghetto aufbaute. Um die Geschichtsschreibung nicht nur den Tätern zu überlassen, schrieben die Journalisten und Gelehrten heimlich die Gräueltaten des Holocaust und den Alltag im Ghetto auf. In Metallkästen und Milchkannen versteckten sie Tagebücher, Fotos, Flugblätter, Gedichte, Filme, Briefe, Postkarten, Zeitschriften und Alltagsgegenstände.
Der Film ließ Besucher sprachlos zurück. Einige wussten zuvor nichts von Ringelblums Archiv.
Emanuel Ringelblum, seine Frau und der elfjährige Sohn wurden 1944 von den Deutschen erschossen. Nur drei Mitarbeiter des Geheimarchivs überlebten, darunter die Journalistin Rachel Auerbach, die im Ghetto eine Suppenküche betrieb. Der Film zeigt ihre Arbeit und den verzweifelten Kampf gegen den allgegenwärtigen Hunger. Kaum zu ertragen sind die Bilder der sterbenden Kinder, Frauen und Männer auf den Straßen – »ihre Gesichter spitz wie die von Füchsen«, beschreibt Oscar-Gewinner Adrien Brody, der Ringelblum seine Stimme leiht, die ausgemergelten Menschen.
Geheimarchiv Es wird deutlich, wie viel die Arbeit für das Geheimarchiv der Gruppe bedeutet hat. »Schreiben als letzter Beweis, dass du dir noch selbst gehörst«, bringt Ringelblum zu Papier. Was er und seine Mitstreiter hinterlassen haben, ist ein historischer Schatz, der 1946 zum Teil in den Trümmern des völlig zerstörten Ghettos gefunden wurde. 1999 wurde Ringelblums Geheimarchiv von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.
Who Will Write Our History ließ viele Besucher sprachlos zurück. So wie Dagmar Hesse-Kreindler ging es vielen: »Man ist so fertig, dass man überhaupt nichts sagen kann.« Ihre Tochter Mia (20 Jahre) ergänzte: »Ich wusste gar nichts von diesem Archiv. Man kennt immer nur die Fotos, die von den Tätern gemacht wurden. Diese Zeit aus der Perspektive der Juden zu sehen, und der Mut von Ringelblum und seinen Helfern hat mich sehr beeindruckt.«