Am Donnerstag hat die Jüdische Gemeinde Düsseldorf Frank Schirrmacher mit der Josef-Neuberger-Medaille ausgezeichnet. Der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurde für seine Verdienste um jüdisches Leben in Deutschland geehrt. Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrats der Juden, hob in seiner Laudatio vor allem die journalistischen Qualitäten des 53-Jährigen und die Bedeutung seiner Beiträge in zahlreichen Debatten hervor.
Ein Seismograf sei Schirrmacher, der unter Beweis stelle, »dass das mediale Frühwarnsystem in Hinblick auf antisemitische Untertöne und Stereotype funktioniert«, sagte Korn in der Düsseldorfer Synagoge. Schützend habe er sich zum Beispiel an die Seite Marcel Reich-Ranickis gestellt, als sich die Diskussion um Martin Walsers Buch Tod eines Kritikers zu einem Literaturskandal ausweitete.
Brandstifter Auch im Streit zwischen Walser und dem damaligen Zentralratsvorsitzenden Ignatz Bubis habe Schirrmacher eine wichtige Rolle gespielt. Walser hatte von der »Moralkeule Auschwitz« gesprochen, Bubis von »geistiger Brandstiftung«. Der Journalist habe mit seinen Beiträgen dabei geholfen, »die Debatte zu versachlichen und sie – zwar nicht ganz, aber doch weitgehend – zu befrieden«.
Immer wieder kam Korn in der Laudatio auf Schirrmachers Vorgänger im Feuilleton der FAZ zu sprechen, Marcel Reich-Ranicki. Der jahrzehntelange Austausch mit ihm habe Schirrmacher geprägt, sein Erbe habe er mit der nötigen Distanz angetreten. Gleichzeitig habe er es nach dem Tod von Reich-Ranickis Ehefrau Tosia verstanden, ihr in seinen Porträts auf zartfühlende und eindringliche Weise ein Denkmal zu setzen.
In seiner täglichen Arbeit würde Schirrmacher als Teil der weltweiten Informationselite von seinen Lesern fordern, »über den Tag hinaus zu denken, Folgen, Risiken und Chancen aktueller Entwicklungen in den Blick zu nehmen und Schlüsse daraus zu ziehen«.
Inversion Dazu ging der FAZ-Mitherausgeber in seiner Dankesrede über: »Ich bin Journalist, mein Handwerkszeug ist die Sprache.« Darin berührte er einige Themen, die die jüdische Gemeinschaft heute betreffen. Es ging um die Inversion, die Umkehrung, »eine syntaktische wie auch gedankliche«. Als Beispiel zog Schirrmacher das Gedicht Was gesagt werden muss von Günter Grass heran. Nie sei es darin um Israel oder den Iran gegangen, »hier geht es einzig und allein um die deutsche Geschichte. Hier geht es um die Inversion der deutschen Geschichte«, betonte Schirrmacher.
Grass wolle endlich die Rollen wechseln, endlich selbst Opfer sein. Das Resultat dieses Wunsches sei »eines der perfidesten Gedichte deutscher Sprache«. Der deutsche Literaturnobelpreisträger habe damit auch eine moralische Umkehr erreichen wollen. Dass er dabei den iranischen Präsidenten als Maulhelden zeichne, erinnerte Schirrmacher an die Politik der Konservativen vor der Machtergreifung der Nazis. Die hätten in Hitler ebenfalls einen Maulhelden gesehen und in den Juden die Bedrohung.
Verletzung Eine Inversion sei es auch, »Judentum und Körperverletzung in einen neuen juristischen, semantischen Zusammenhang« zu bringen, erklärte Schirrmacher mit Blick auf die Debatte über die Beschneidung von Jungen. Dass nun erklärt werde, jüdische Eltern würden ihre eigenen Söhne verletzen, mache ihn sprachlos.
Es hätte gereicht, sagte er zum Urteil des Kölner Landgerichts, wenn sich die deutsche Justiz, »die sich plötzlich für Jahrtausende zuständig fühlt, 1933 nur für zwölf Jahre zuständig gefühlt hätte«. Der Schmerz, den Deutsche Juden zugefügt haben und der noch die Nachgeborenen im zehnten Glied verfolgen würde, sei zu groß, »als dass wir uns leisten könnten, auch nur ein einziges falsches Wort zu benutzen«.