1978, im zeitlichen Umfeld des 40. Jahrestags der Novemberpogrome und der Ausstrahlung der TV-Serie Holocaust, trat Heinz Galinski, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, an die Technische Universität Berlin heran, um für die Einrichtung eines Instituts für Antisemitismusforschung zu plädieren.
Es war Reinhard Rürup, der zu dieser Zeit bereits als Professor für Neuere Geschichte an dieser Hochschule lehrte, der in Memoranden und Gesprächen ganz wesentlichen Anteil an der Einrichtung dieses heute so wichtigen und prestigeträchtigen Instituts hatte.
Reinhard Rürup, 1934 geboren, wuchs in Ostwestfalen auf, wo er auch die Zeit des Nationalsozialismus erlebte. Seine Kindheitserfahrungen haben sicher auch dazu beigetragen, sich mit dem 20. Jahrhundert und vor allem mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen.
leiter Die große Zahl an Forschern, die im Umfeld der Leo-Baeck-Institute in New York, London und Jerusalem in den 80er-Jahren zu Themen der deutsch-jüdischen Geschichte arbeiteten, hatte Werner E. Mosse, den Vorsitzenden des Londoner Instituts, auf die Idee gebracht, eine wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft des Leo-Baeck-Instituts in der Bundesrepublik einzurichten.
Auf der Gründungssitzung am 8. Dezember 1989 in Frankfurt wurde Reinhard Rürup deren erster und dann auch langjähriger Leiter. Er hat hier eine große Zahl von jungen Historikerinnen und Historikern bei ihren Forschungsvorhaben begleitet und betreut, ja, man könnte auch sagen, auf den richtigen Weg gebracht.
Als es Mitte der 80er-Jahre darum ging, wie mit dem »Gestapo-Gelände« in Berlin umzugehen sei – dem damals so bezeichneten Areal der ehemaligen Zentralen von Gestapo und SS am Rande West-Berlins –, hatte Reinhard Rürup die Vision einer sachlichen Dokumentation, nicht einer emotional angelegten Gedenkstätte. Dafür kämpfte er geschickt und nachhaltig. Er ist der geistige Urheber der zeitgeschichtlichen Dokumentation »Topographie des Terrors«.
neugier Als ich dann später als Geschäftsführender Direktor bei der Stiftung Topographie mit ihm ein Sekretariat teilte, konnte ich sehr intensiven Einblick in sein schier unglaubliches Arbeitspensum nehmen: unzählige Beiräte und Kuratorien, denen er angehörte; Gutachten für Magisterarbeiten, Promotionen und Habilitationen; Stellungnahmen für Forschungsgesellschaften, den Senat, das Abgeordnetenhaus; Förderanträge; Tagesordnungen für Gremien, denen er vorstand; Exposés, Drehbücher oder Kataloge für Ausstellungen, die er inhaltlich verantwortete.
All das war nicht das Lektürewerk von Assistenten, die ihm ein »Abstract« vorlegten, sondern Blatt für Blatt Lektüre von »Rü«, wie er die von ihm besehenen Vorlagen abzeichnete. Dort, wo die Vorlagen seinen Namen trugen, stand nicht nur Rürup drauf, sondern war auch Rürup drin. Der inhaltliche Diskurs mit Reinhard Rürup war immer ein Gewinn, weil er gute Argumente auch gegen von ihm vertretene Positionen mit großer Neugier aufnahm und prüfte.
Bei seinen zahlreichen Beiträgen zu politischen Debatten um erinnerungskulturelle Fragestellungen habe ich mich immer gefragt, wie er bei den zahlreichen Terminen, die er alle in einem dünnen Monatstaschenkalender selbst notierte, noch die Zeit hatte, sie zu verfassen. Ja, er kam oft mit fliegenden Rockschößen sehr pünktlich zu Sitzungen, aber einmal eingetroffen, war Reinhard Rürup nicht nur konzentriert, sondern ruhig – so, als spielte Zeit keine Rolle in seinem Leben.
weltrang Am 6. April ist er im Alter von 83 Jahren gestorben. Für ihn war das Lehren an der Universität genauso wichtig wie das Vermitteln von Geschichte in eine Öffentlichkeit hinein, die mit Geschichte umgehen sollte.
Aus dem jungen Geschichtsprofessor der 70er-Jahre war rasch ein Gelehrter von Weltrang geworden, der in Berkeley, Harvard, Stanford, Sydney, Jerusalem und Oxford lehrte und in Berlin als Präzeptor der Zeitgeschichte wirkte, dessen Wort Gewicht hatte und weit über seinen Tod hinaus noch lange Gewicht haben wird.