Ein Dreivierteljahrhundert nach dem Ende des Nationalsozialismus ist das Stadtmuseum die erste derartige Münchner Institution, die sich mit der NS-Geschichte des eigenen Hauses auseinandersetzt. Bedarf daran besteht.
Vier Jahre lang, von 2011 bis 2015, haben die Kunsthistorikerin Vanessa Voigt und Museumskurator Henning Rader die Sammlungsbestände des Stadtmuseums untersucht. Zum Ergebnis gehört eine bis weit in den September hinein laufende Sonderausstellung, die sich mit den Erwerbungen des Hauses zwischen 1933 und 1945 auseinandersetzt.
Nachforschungen Während der Nazi-Herrschaft, in der Begriffe wie »Sicherstellung«, »Verwertung« und »Arisierung« dem staatlichen Raubzug die Basis lieferten, erwarb das Münchner Stadtmuseum mehr als 20.000 Kunst- und Kulturgegenstände. Eine Erkenntnis, die durch die neuen Nachforschungen gewonnen wurde: Rund 2600 dieser Objekte sind hinsichtlich ihrer Herkunftsgeschichte als »kritisch« einzustufen. 450 Objekte davon konnte das Forscherteam inzwischen den damaligen, meist jüdischen Besitzern zuordnen.
In der Ausstellung werden unter Verwendung von Kunstwerken, historischen Dokumenten und Fotografien die Ankaufspolitik des Hauses zwischen 1933 und 1945 sowie die Aktivitäten der damaligen Museumsleitung nachgezeichnet. Dies erlaubt auch einen Blick auf die Bedingungen des Kunsthandels während der NS-Diktatur, weit über die Geschichte des Stadtmuseums hinaus.
In einer Erklärung zur Ausstellung heißt es in diesem Zusammenhang: »Es bestand ein gut organisiertes Netzwerk städtischer Entscheidungsträger und ein funktionierendes Zusammenwirken der verschiedenen, an der systematischen Verfolgungspolitik des NS-Regimes beteiligten Institutionen in München und auf nationaler Ebene.«
Verschärfung Anhand von sorgfältig ausgewählten Exponaten wird die schrittweise Verschärfung der antisemitischen Ausgrenzungs- und Verfolgungspolitik des NS-Regimes exemplarisch veranschaulicht. Die von staatlicher Seite akribisch geplante Vorgehensweise bei »Arisierungen« von Münchner Unternehmen und Konfiszierungen jüdischen Eigentums werden offengelegt. Nicht zuletzt tritt so Münchens Vorreiterrolle in der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik und bei der Verdrängung von Juden aus dem Wirtschaftsleben deutlich zutage.
Präsentiert werden in der Ausstellung nicht nur Kunstwerke aus den Bereichen Grafik und Gemälde sowie Mode und Textilien, auch Kunsthandwerk, Möbel, Musikinstrumente, Puppen und Gegenstände des Alltags sind zu sehen. Anhand der Vielfalt der unterschiedlichen Gegenstände, so Museumskurator Rader, werde das ganze Ausmaß der nationalsozialistischen Raubaktionen greifbar. Sie hätten alle Segmente des öffentlichen und privaten Lebens betroffen.
Zur Ausstellung gehören darüber hinaus Objekte mit gesicherten Provenienzen, ebenso wie solche, deren Herkunft bislang ungeklärt ist. Das Museum erhofft sich durch die öffentliche Präsentation weiterführende Hinweise zur Herkunftsgeschichte einzelner Kunstgegenstände.
schicksale Ein wesentliches Anliegen der Ausstellung ist es, die betroffenen Kunstsammler und -händler, Geschäftsinhaber sowie Privatpersonen, von deren Enteignungen das Münchner Stadtmuseum – wie auch andere Münchner Museen – direkt profitierten, eingehender vorzustellen. Es soll ihr kulturelles Engagement gewürdigt und an ihre persönlichen Schicksale erinnert werden.
Eine besondere Berücksichtigung erfahren die Kunst- und Antiquitätenhandlung Siegfried Lämmle, das Putz- und Hutgeschäft Heinrich Rothschild, der Sammler und Geschäftsmann Dr. Julius Schülein, die L. Bernheimer KG, die Sammlung des Zentrumspolitikers und Industriellen Dr. Albert Hackelsberger sowie die Künstlerin Maria Luiko.
Der zeitliche Rahmen der Ausstellung umfasst themenbezogen auch die Nachkriegszeit, zum Beispiel die Tatsache, dass es nach der NS-Zeit keinen personellen Wechsel an der Museumsspitze gab. Schatten sind in der Nachkriegszeit auch beim Umgang des Stadtmuseums mit dem Raubgut festzustellen, wie die Ausstellung zeigt.
Katalog Zur Ausstellung erscheint ein 272-seitiger Katalog im Hirmer-Verlag mit rund 240 Abbildungen und Texten der Herausgeber Henning Rader und Vanessa Voigt sowie von Elisabeth Angermair, Sarah Bock, Katharina Common, Angelika Enderlein, Andreas Heusler und András Varsányi.
Im Rahmen der Ausstellung haben Museumsbesucher auch die Möglichkeit, eigene Kunst- und Kulturgegenstände, die in der NS-Zeit in Familienbesitz gelangten, einer Expertin zur Begutachtung vorzulegen und die dazugehörigen Familiengeschichten zu erzählen.
Hierbei kann es sich um Gegenstände handeln, die einst jüdischen Nachbarn, Freunden und Bekannten oder politisch Verfolgten gehörten oder bei denen jüdische Voreigentümer vermutet werden.
»›Ehem. jüdischer Besitz‹ – Erwerbungen des Münchner Stadtmuseums im Nationalsozialismus«. Bis 23. September