JFBB

Schweinisch gut

44 Filme an zehn Tagen in 14 Kinos in Berlin und Potsdam: Das Filmfestival zeigt differenzierte Facetten jüdischen Lebens weltweit. Foto: PR

Schweinezucht in Israel? »Nicht ganz koscher«, sollte man meinen. Der gleichnamige Titel des diesjährigen Filmfestivals Berlin & Brandenburg (JFBB) trifft jedenfalls nicht nur einen empfindlichen Nerv. Er zeigt mit dem Dokumentarfilm Praise the Lard des Regisseurs Chen Shelach auch eine eher unbekannte Facette der Geschichte Israels – anhand des unkoscheren Symbols per se.

Filmemacher Shelach ist ein Kind des Kibbuz Mizra. Das Kollektiv im Jezreel-Tal verdiente sich seinen Lebensunterhalt, so erfährt der Zuschauer gleich zu Beginn bei einer ausgelassenen Grillszene am Jom Haazmaut, seit den 50er-Jahren mit der Schweineproduktion.

identität Das hatte nicht nur ökonomische Gründe. Denn das Schwein, so schildern es Historiker, Knesset-Politiker und Pioniere, die Shelach befragt, symbolisierte auch den »neuen Juden« im demokratischen, säkularen Staat, der niemandem sein Essen vorschrieb – ausgerechnet das Schwein als Symbol eines neuen Nationalstolzes! So bestückte die kibbuzeigene Firma »Mizra Delicatessen« nicht nur die Teller der Kibbuzniks im kollektiven Speisesaal mit Koteletts, sondern verkaufte die höchst unkoschere Ware auch landesweit – umsatzsteigernd.

Andere Fabriken folgten, ebenso erbitterter Widerstand seitens religiöser Vertreter, politische Grabenkämpfe, ein umstrittenes »Schweine-Gesetz« und die »Schweine-Krise«. So thematisiert Praise the Lard nicht nur die Schweineproduktion in Israel, sondern verknüpft sie mit der Geschichte des Landes und der hitzigen Debatte um die Deutungshoheit über jüdische Identität – ein sehenswerter Film, der gewiss polarisieren wird.

An diesem Sonntag beginnt das Filmfestival mit der Gala im Potsdamer Hans Otto Theater – mit Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, und Regisseur Radu Mihaileanu. Moderiert wird die Gala von Knut Elstermann (Radio Eins, RBB). Zur Eröffnung des Festivals wird Mihaileanus Spielfilm Die Geschichte der Liebe gezeigt – der Film läuft am 20. Juli in den deutschen Kinos an.

Familiengeschichten Mit der Verfilmung des Romans der amerikanischen Autorin Nicole Krauss, einer Familiengeschichte zwischen Weißrussland und New York, hat sich Mihaileanu, der 2005 bei der Berlinale für Geh und lebe, einen Spielfilm über Äthiopier in Israel, mit dem Panorama-Publikumspreis ausgezeichnet wurde, keine leichte Aufgabe gestellt.

Denn die Handlung von Die Geschichte der Liebe ist nicht unkompliziert: Ein jüdischer Schriftsteller, der die Schoa überlebt hat und dessen Roman gleich zweimal gestohlen wurde, stellt sich seiner Vergangenheit – und schlägt damit einen Bogen zur Facebook-Generation, die ihren eigenen Zugang zur Geschichte sucht.

Doch sind die Charaktere so liebevoll dargestellt, dass die Schwächen der Vorlage verblassen. So dürfte die hochemotionale Geschichte von Alma, der »meistgeliebten Frau der Welt«, auch junge Zuschauer ansprechen, die keine Chance mehr haben, Zeitzeugen der Schoa kennenzulernen.

Familiengeschichten sind erneut ein Schwerpunkt des Festivals: In Past Life hat sich der israelische Regisseur Avi Nesher der Autobiografie des Schoa-Überlebenden Milch angenommen, dessen Töchter, die Komponistin Ella Milch-Sheriff und die Journalistin Shosh Milch-Avigal, in den 70er-Jahren mit dem schweren emotionalen Erbe ihres Vaters ringen. In der Rolle der Mutter: die hinreißende russisch-israelische Schauspielerin Yevgeniya Dodina. Ein definitiv sehenswerter, aber durch mehrere Ebenen des Leids überfrachteter Film.

Chanukka-Wunder Heiter kommt dagegen die Hochzeitskomödie Through the Wall von Rama Burshtein daher – der Regisseurin, die spät zum orthodoxen Judentum fand und mit dem Spielfilm Fill the Void bekannt wurde. In Through the Wall reserviert Michal, die religiöse Heldin des Films, nach dem Platzen ihrer Verlobung einen Festsaal für ihre Hochzeit am achten Tag von Chanukka – obwohl es noch keinen Bräutigam gibt. Wie das Wunder aussieht, soll hier nicht verraten werden.

Um Familienleben geht es auch in Personal Affairs, dem Spielfilmdebüt der arabisch-israelischen Regisseurin Maha Haj. Sie erzählt episodenhaft von den Mitgliedern einer palästinensischen Familie: den Eltern Nabeela und Saleh, die in Nazareth leben, und ihren drei Kindern Hisham, Samar und Tarek. Nabeela und Saleh sind nach vielen Jahren Ehe gelangweilt, und selbst ein Besuch bei ihrem Sohn Hisham in Schweden vermag ihren Trott nicht aufzulockern. Währenddessen muss sich die hochschwangere Samar, die in Ramallah lebt, um die senile Großmutter kümmern.

terrorist Samars Ehemann George wiederum, der als Mechaniker arbeitet, wird spontan für eine amerikanische Filmproduktion gecastet, wobei er sicher ist, einen Terroristen spielen zu müssen. Eine weitere Episode dreht sich um Samars Bruder Tarek, der partout keine feste Bindung mit seiner Freundin eingehen will, was ausgerechnet an einem israelischen Kontrollpunkt zu heftigem Streit führt.

Zurück zum Essen – es spielt auch in City of Gold eine Hauptrolle. Wobei der eigentliche Star des Films Jonathan Gold ist, pulitzerpreisgekrönter Gastrokritiker aus Los Angeles. Die Dokumentarfilmerin Laura Gabbert begleitet den sanftmütigen Journalisten mit dem Walrossbart und der spitzen Feder in dessen staubigem grünen Pick-up durch die kalifornische Metropole.

Wo immer er auftaucht, füllen Küchenchefs die Teller mit einer extra Prise Raffinesse. Dabei wird Gold mehr geliebt als gefürchtet, denn egal, ob Tacos serviert werden oder Kimchi – ihm haben es vor allem kleine, unscheinbare Familienlokale angetan. So entfaltet Laura Gabbert in 90 Minuten das Porträt eines feingeistigen Mannes, der mit seinen Kritiken für die »L.A. Times« nicht nur einen kulinarischen, sondern auch kulturkritischen Stadtplan für den ethnischen Schmelztiegel L.A. erstellt hat.

komödie Und noch ein Film zum Thema Essen: The Chop ist gewissermaßen das versöhnliche Pendant zu Praise the Lard – eine kurzweilige Story über einen arbeitslosen koscheren Fleischer in London, der sich wegen eines Jobs in einer Halal-Metzgerei als Muslim ausgibt, was natürlich auffliegt und zu einigen unerwarteten Wendungen führt.

Ein komödiantischer Kurzfilm mit Slapstick-Charakter, der auf vergnügliche und leicht verdauliche Weise gängige Vorurteile ad absurdum führt.

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