Frankfurt/Main

Schutzraum der Seele

Sie sehen sich regelmäßig im »Treffpunkt«. Foto: Rafael Herlich

Als Kind überlebte sie im Versteck. Ihr Alter sieht man ihr heute nicht an, auch die Leiden sind äußerlich nicht sichtbar. Im Gegenteil: Für den Abend hat sie sich schick angezogen und wirkt freudig erregt. Alle sind wie sie festlich gestimmt und gekleidet. Sie wollen ihr zehnjähriges Jubiläum feiern: Überlebende der Schoa, die sich regelmäßig treffen, um sich auszutauschen und eine Anlaufstelle für Fragen zu haben, die nur sie kennen.

Entsprechend nennen sie ihren Kreis »Treffpunkt für Überlebende der Schoa und ihrer Familien«. Hier sind sie unter sich; hier müssen sie sich nicht erklären. Alle duzen sich, umarmen sich zur Begrüßung, zum Abschied und zwischendurch.

Davongekommen Zum Zehnjährigen leisten sie sich ein Fest und treffen sich im Restaurant der Gemeinde in Frankfurt. Einige halten ergreifende Reden auf ihre feste Gemeinschaft und auf das Leben, das sie zusammenbindet. Es ist für sie alle ein wiedergewonnenes Leben, sind sie doch alle Davongekommene. Tränen fließen bei der Erinnerung an diejenigen, die ermordet wurden: Eltern, Geschwister, Freunde. Im »Treffpunkt«, wie sie ihren Kreis schlicht nennen, haben sie den Raum, in dem diese Wunden etwas Schutz bekommen vor einer Öffentlichkeit, die weitgehend arm an Empathie für ihr Schicksal ist.

Als Treffpunkt der Gruppe dient der Saal der Frankfurter B’nai-B’rith-Loge im Westend. Hier können Traumatisierte selbst entscheiden, ob sie über das Erlebte reden möchten oder nicht, und mit wem. Zum Zuhören kommen Therapeuten, Ärzte und Sozialarbeiter sowie viele ehrenamtliche Helfer, die ebenfalls Rat und Tat bieten.

Kaffeenachmittag Für die Seelsorge der Überlebenden sorgt unter anderen auch die Frankfurter Budge-Stiftung. Einzel- und Gruppengespräche sind möglich, Sozialberatung und Gedächtnistraining, Vorträge auf Jiddisch und Yoga. Einmal in der Woche ist Kaffeenachmittag. Das Angebot wird »sehr intensiv« genutzt, betont Noemi Staszewski, die das Projekt für die Zentralwohlfahrtsstelle koordiniert. Die Nachfrage übersteige fast die Kapazität des Projekts, das sich aus Stiftungsgeldern finanziert.

Auch beim Festessen koordiniert Staszewski emsig die Feierlichkeit. Sie stellt die Ehrengäste vor: die Vertreter der Aktion Mensch sowie der Stiftung EVZ (Erinnerung, Verantwortung, Zukunft). Auch die Gäste von der Claims Conference und der Gemeinde gehen in dieser Stimmung auf. Viele von ihnen sind Kinder von Überlebenden und lassen sich somit selbst vom »Treffpunkt« und seiner Atmosphäre tragen.

Der »Treffpunkt« kann die verlorenen Familien nicht ersetzen. Er kann aber den Rahmen bieten, in dem alle am Schicksal des anderen Anteil nehmen, an der Trauer wie an der Freude. Bei der Feier zum zehnjährigen Jubiläum war vor allem die Freude zu spüren.

Frankfurt/Main

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