Fröhlich und unbeschwert wirken die Kinder, die gerade aus dem Schulgebäude auf den Hof am Rande der Kölner Innenstadt strömen. In einem der umstehenden Gebäude ist auf einem Schaufenster ein vergrößertes historisches Foto von »Kindern auf dem Schulhof nebenan« als transparente Folie aufgeklebt. Im Fenster spiegelt sich der heutige Platz mit dem Löwenbrunnen.
Stolz thront der Löwe Jehuda auf der Säule, eine Tatze hält die Tafeln mit den Zehn Geboten. Auf acht Bronzetafeln in der Umrandung des Brunnens sind die Namen jener 1100 jüdischen Kinder und Jugendlichen aus Köln eingelassen, die von den Nazis deportiert wurden.
Schutz Kaum etwas erinnert daran, dass es rund um den heute als »Kindergedenkstätte Löwenbrunnen« bekannten Platz noch bis Juli 1942 jüdisches Leben gab. Schüler aus religiösen und nichtreligiösen Familien kamen in die 1919 als erstes und bislang einziges jüdisches Gymnasium im Rheinland gegründete »Jawne«, die ihnen nach 1933 unter dem zunehmenden Druck und der Verfolgung durch die NS-Diktatur Schutz bot.
»Es ist die Aufgabe der jüdischen Schule, harmonisch gebildete Persönlichkeiten zu erziehen, die befähigt sind, wertvolle Glieder des Staates und der menschlichen Gesellschaft überhaupt zu werden«, formulierte Erich Klibansky seinen Anspruch, als er im Jahr 1929 mit 28 Jahren Direktor der Schule wurde. Bis zur erzwungenen Schließung der Schule prägte der aus Litauen stammende Pädagoge den Alltag und die Schüler.
Die intensive Einführung in die Traditionen und Gesetze des Judentums war das entscheidende Merkmal, das die Jawne von nichtjüdischen Schulen unterschied. Der Name erinnert an die Gründung eines Lehrhauses in der Stadt Jawne, das der jüdische Gelehrte Jochanan nach der Zerstörung des zweiten Jerusalemer Tempels (im Jahr 70 n.d.Z.) gegründet hatte – dieses Lehrhaus gilt als die Geburtsstätte des rabbinischen Judentums.
Seit 15 Jahren hält der Arbeitskreis »Lern- und Gedenkort Jawne« die Erinnerung an diesen Ort jüdischen Alltags durch Ausstellungen, pädagogische Projekte, Kultur- und Gedenkveranstaltungen sowie Workshops lebendig. Die Initiative dazu ging von dem inzwischen verstorbenen Kölner Ehepaar Dieter und Irene Corbach aus, das sich jahrelang mit der NS-Vergangenheit Kölns befasst und im Zuge dessen auch die Geschichte der Jawne wiederbelebt hat. Nicht zuletzt aufgrund dieses Einsatzes heißt der Ort mit dem einstigen Schulhof der Jawne zwischen St.-Apern- und Helenenstraße »Erich-Klibansky-Platz«.
In zwei Räumen zeigt der Arbeitskreis die Dauerausstellung über »Die Kinder auf dem Schulhof nebenan«. Dokumentiert werden Geschichte, Konzept und Alltag der 1919 als »Privates jüdisches Reformrealgymnasium mit Realschule für Knaben und Mädchen« gegründeten Schule sowie diverse Wechselausstellungen.
rettungsgeschichte »Es ist ein positiver Ort mit einer Rettungsgeschichte, überschaubar dargestellt und in Kürze erzählt«, fasst Stadtführerin Tal die Arbeit des Arbeitskreises zusammen. Tal ist eine von rund 20 Ehrenämtlern, die sich dafür engagieren, die Erinnerungskultur an diesem Ort wachzuhalten. Unterstützt wird der Arbeitskreis bei Projekten von der Landeszentrale für politische Bildung sowie von einem Förderverein.
»Wir wollen gerade für junge Menschen diesen positiven Ort jüdischen Alltagslebens während der Zeit der Weimarer Republik und der NS-Zeit anschaulich machen«, sagt Ursula Reuter, Vorstandsmitglied des Vereins und Leiterin der Germania-Judaica-Bibliothek in Köln. Beim Umgang mit der Geschichte der Schule ließen sich zudem pädagogische Linien zu aktuellen Themen wie Migration, Vertreibung, Umgang mit Minderheiten ziehen, betont Reuter.
Bei ihrer Arbeit können der Arbeitskreis sowie der Förderverein auch auf ein gutes Netzwerk zurückgreifen. Das Ehepaar Corbach hatte bereits viele Kontakte geknüpft. Zu ehemaligen Schülern und deren Nachfahren bestehen tragfähige Verbindungen, darüber hinaus zu Institutionen wie dem NS-Dokumentationszentrum. Dieses befindet sich nur wenige Gehminuten von der Jawne entfernt an einem einstigen Täterort, der ehemaligen Dienststelle der Kölner Gestapo.
Kindertransporte In den hellen Räumen des Lern- und Gedenkorts Jawne wird natürlich auch an die Rettung vieler Schüler erinnert. Erich Klibansky gelang es 1939, mit vier sogenannten Kindertransporten insgesamt 130 Kinder und Jugendliche per Zug nach Großbritannien zu retten. Dort wurden sie in eigens eingerichteten Jawne-Hostels sowie in jüdischen Gemeinden untergebracht.
Klibansky, der die vier Züge auf die Insel begleitete und danach wieder nach Köln zurückkehrte, konnte seine eigenen Emigrationspläne nicht verwirklichen. Bis 1942 kümmerten er und sein Lehrerkollegium sich darum, den fragilen Schulbetrieb unter immer bedrohlicher werdenden Umständen aufrechtzuerhalten.
Im Juli 1942, kurz nach der Auflösung der Schule, wurden Erich Klibansky und seine Frau Meta zusammen mit anderen rheinischen Juden nach Minsk deportiert und kurze Zeit später ermordet.
Die Erinnerung an ihn und vor allem an seine Wirkungsstätte, an der er »trotz aller Schwierigkeiten den religiös-konservativen Charakter der Schule traditionsgetreu vorzüglich gewahrt hat«, wie es in einem Zeugnis des Schulkuratoriums aus dem Jahr 1939 heißt, leben weiter.
Weitere Informationen unter www.jawne.de