Konrad Dazer klemmt sich die Lupenbrille vor die Augen, fängt an, mit dem Skalpell zu kratzen und mit chirurgischer Präzision vorsichtig Putzschichten abzutragen. Ein raues Schaben ertönt im ganzen Haus. Manchmal, das weiß der Restaurator, helfen eben nur noch Lupe und Skalpell. Die ersten Rottöne und Teile eines kleinen Ornaments hat Dazer an der Wand der Frauenempore freigelegt. Nun aber macht er eine Pause, um diese Stelle genauer zu betrachten.
Dazer bearbeitet die Wand der Empore in der Synagoge Pestalozzistraße schon seit einiger Zeit. Zuerst hatte er sie mit Kompressen zwei Tage lang befeuchtet, dann mit Hilfe eines Dampfstrahlgerätes den Putz von der Wand geholt. Anschließend beizte er die Stelle ab. Doch nun ist intensive Handarbeit gefragt, denn es ist an dieser Stelle schwer, das ursprüngliche Motiv zu finden und es sichtbar zu machen. Vermutlich verläuft hinter den vielen Putzschichten eine Bordüre mit Ornamenten. Dazer begibt sich auf die Suche.
Die Bänke im Raum der Synagoge sind derzeit abmontiert und eingelagert. Stattdessen steht ein mehrere Meter hohes Baugerüst vor der Bima. Darauf arbeiten Konrad Dazer und seine Kollegin Susan Gülzow seit November daran, die Originalfarben des Gotteshaues zu ermitteln, Ornamente zu finden und freizulegen. »Der Innenraum wurde mehrmals renoviert, wobei der ursprüngliche Farbton des Öfteren übermalt worden ist«, sagt Gülzow.
Styropor 1912 wurde das Gotteshaus, das nach Entwürfen des Architekten Ernst Dorn gebaut wurde, als Privatsynagoge eingeweiht – damals dominierte im Innenraum »ein beiges Rot«, würden die Restauratoren sagen. Seitdem ist der Raum mehrmals gestrichen worden, Styroporplatten wurden an die Wände montiert. Die meisten Beter kennen das Gotteshaus nur in einem weißen bis beigen Farbton. Die letzte Farbfassung stamme aus den 80er-Jahren, vermutet Joachim Jacobs vom Synagogenvorstand. »Wir haben die einmalige Chance, dass die Synagoge in Abstimmung mit den Denkmalbehörden die Fassung von 1912 als die zu restaurierende Gestaltung bestimmt«, sagt Jacobs.
Die Renovierung der Synagoge Pestalozzistraße begann im Juni vergangenen Jahres. Das undichte Dach wurde mit Schiefer gedeckt und der Hauschwamm beseitigt. Schon im April 2013 wurden die Gottesdienste von der Pestalozzistraße in das Gemeindehaus in der Fasanenstraße verlegt, wo sie seitdem stattfinden.
Demnächst beginnt die Trockenlegung der Kelleraußenwände. Auch die sogenannte Rabitzkuppel soll noch saniert werden. Ebenso ist eine Neuverglasung des Gewölbeauges, wahrscheinlich mit Milchglas, geplant. Das Lichtkonzept sei allerdings noch nicht fertig, sagt Jacobs. Fest steht aber, dass der Leuchter, der aus den 50er-Jahren stammt, bleibt – ebenso wie voraussichtlich die gefärbten Fenster.
himmel Susan Gülzow steht ganz oben direkt am Kuppelhimmel. Sie hat so wenig Licht, dass sie den Scheinwerfer anstellt. Und plötzlich werden die Farben Blau, Gelb und Gold sichtbar. »Es gab schon immer das Gerücht, dass über der Bima ursprünglich ein blauer Sternenhimmel gewesen sein soll«, sagt Jacobs. Jetzt ist es offensichtlich. Ein bisschen erinnert dieser gemalte Himmel an die Synagoge Rykestraße.
Zuletzt war der Bereich mit hellen Styroporplatten abgehängt. »Das wird der aufwendigste Arbeitsbereich werden. Für die Rekonstruktion werde ich etwa einen Monat brauchen«, sagt Susan Gülzow. Dazu kommen noch die vergoldeten Löwen. »Wahrscheinlich waren sie beige-rot und der Hintergrund bräunlich-rot«, vermutet die Restauratorin. Über den Löwen hat sie versucht, den übergestrichenen Putz abzulösen. »Für einen Quadratmeter würde ich neun Stunden einplanen.«
An dieser Stelle sei der Aufwand unverhältnismäßig – da werde sie wahrscheinlich empfehlen, die Wand zu übermalen. Einige Meter tiefer, im Chorraum, hat Gülzow gemalte Wandbehänge freigelegt. Leider haben die Handwerker, die dort Elektroleitungen verlegt hatten, deutliche Spuren hinterlassen. »Schade, sie haben nie alte Schächte benutzt, sondern sich neue gebohrt, sodass dort nun Risse sind«, sagt die Restauratorin, steigt von dem Baugerüst herunter und steht vor einem Pfeiler, auf dem kleine Ornamente freigelegt sind. Sie überlegt, welche davon der ersten oder der zweiten Fassung zuzuordnen sind.
Art déco Auf Augenhöhe hat sie die Ornamente unter mehreren Farbschichten gefunden: »Mit der Zeit weiß man, wo man suchen muss.« Über den Farbschichten hat Gülzow den ursprünglichen Putz an die Oberfläche gebracht – eingefärbter Lehm mit etwas Glitzer. Das sei ein schöner Effekt. Wahrscheinlich stamme ein Ornament aus der Zeit des Jugendstils, das andere ist eher dem Art déco zuzurechnen. »Die erste Fassung ist extrem schlecht erhalten«, sagt die Restauratorin.
Sie vermutet, dass die Decken der Synagoge ursprünglich schlicht, die Oberwände mit eingefärbtem Rauputz versehen waren. Die Bögen seien farblich gestaltet und die Emporen marmoriert gewesen. »Zum Glück dauert die Restaurierung noch etwas«, freut sich Gülzow, denn sie sei von der Arbeit begeistert. »Die Maßnahmen, die über die Stiftung Deutsche Klassenlotterie finanziert werden, liegen völlig im Zeitplan«, betont Joachim Jacobs.
Theoretisch könne die Synagoge zu Rosch Haschana wieder eröffnet werden, nur gebe es eben auch etliche Arbeiten, für die die Lottostiftung nicht aufkomme, weshalb um Spenden gebeten werde. Insgesamt belaufen sich die Kosten auf etwa 1.374.000 Euro, von denen die Stiftung etwas mehr als eine Million finanziert.