Julia Roos, die Museumspädagogin der Alten Synagoge in Erfurt, ist nervös. Ausgerechnet jetzt ist sie auch noch erkältet. Seit Stunden lutscht sie Halstabletten, um wieder zu Stimme zu kommen. Die Erkältung darf ihre Premiere nicht gefährden: Gemeinsam mit einer muslimischen Studentin bietet sie Interessierten eine Führung durch das jüdische Gotteshaus und seine wechselvolle Geschichte an.
Die beiden jungen Frauen stehen vor dem Eingang der Alten Synagoge und begrüßen die Gäste mit »Schalom« und »Salam« – »Frieden«. Die meisten Besucher, die der Einladung zu dieser besonderen Führung gefolgt sind, haben Stift und Zettel in der Hand. Sie wollen das Gehörte nicht gleich wieder vergessen, viele von ihnen sind jenseits der 60.
Rituale Die Idee für diese Führung entwickelte Julia Roos im Frühjahr. Warum sollte es nicht möglich sein, Gemeinsamkeiten zwischen dem Judentum und dem Islam zu entdecken, ohne die Unterschiedlichkeit zu negieren? Sie lud die künftige Medienpädagogin und gläubige Muslimin Yasmina Sayhi zu einer Runde durch die Synagoge ein. Yasmina Sayhi, die Studentin, kannte zuvor diese älteste erhaltene Synagoge des Mittelalters nicht. »Ach, bei uns ist das ganz ähnlich«, sagt sie bei jenem ersten Rundgang immer wieder. Das war, als sie von den Ritualen hörte, von den Brautgaben und von den Besuchen der Gotteshäuser. Der Plan von Julia Roos, eine gemeinsame Führung zu organisieren, erhielt auf diese Weise große Nahrung.
Am Mittwoch vergangener Woche war es soweit: Erwartungsvolle Gäste, einige kamen sogar aus dem Rheinland und Bayern, sind neugierig und warten auf dem Platz im kleinen Hof vor der Synagoge, der kaum groß genug für die Besucherzahl ist. »Wir wussten nicht, ob drei oder 13 Menschen kommen würden. Aber dass es so viele werden, das haben wir nicht zu hoffen gewagt«, sagt Julia Moos und wirkt dabei regelrecht beschwingt.
Stimmung Eine friedvolle Stimmung umgibt die Gäste in der Alten Synagoge. Diese Stimmung bleibt auch in jenem Moment erhalten, da von den drei Synagogen in Erfurt die Rede ist und zugleich über den Bau einer Moschee in einem Erfurter Randgebiet gesprochen wird. Denn die Streitigkeiten darum bis hin zu einem Bürgerbegehren gegen die Moschee werden längst nicht mehr nur in Thüringen diskutiert. Die beiden Frauen wollen die aktuelle Politik nicht außen vor lassen.
Genau der aufgeheizten Stimmung wegen haben sie sich entschlossen, die Idee umzusetzen, und erklären Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der jüdischen und der islamischen Religion auf eine freundliche, weder missionierende noch eifernde Weise. Feuerbestattungen sind in beiden Religionslehren verboten, erklären die Frauen für beide Religionen. Und sagen zugleich, dass sich nicht alle Gläubigen an diesen Grundsatz halten. Sie sprechen wertfrei darüber.
Grabkultur Auf dem Erfurter Friedhof gibt es einen Bereich für die letzte Ruhestätte von Muslimen. Die Gräber sind so ausgelegt, dass der Kopf des Verstorbenen in Richtung Mekka liegen kann. Und die Tora ist in der Synagoge so aufbewahrt, dass sie in Richtung Jerusalem zeigt. Traditionen gibt es in beiden Religionen reichlich. »So viele Zusammenhänge und Ähnlichkeiten hätte ich nicht vermutet«, ist Monika Reipel aus Meerbusch begeistert.
Sie erkennt auch die Unterschiede. Natürlich, die sind ja nicht klein zwischen der ältesten Weltreligion und der jüngsten. Hajo Laas aus Erfurt ist Gästeführer in der Stadt. »Diese Führung ist eine tolle Idee«, bedankt er sich bei den beiden Frauen. Ganz sicher wird er bei einer seiner nächsten Führungen auch vor der Alten Synagoge stehen, von religiösen Gemeinsamkeiten und dem Erfurter Schatz sprechen. Und von Traditionen, die manchmal gar nicht so weit auseinander liegen.
Diese Führung ist auch ein wenig der Vorgeschmack auf das »Achava-Festival« ab 1. September. Dann nämlich gibt es einen interreligiösen Dialog zwischen Juden, Christen und Muslimen.
Die Führung in der Alten Synagoge wird am 14. August um 14 Uhr wiederholt. juedisches-leben.erfurt.de