Am 24. Dezember 1959 erlebt die jüdische Gemeinde in Köln einen Schock. Zwei junge Rechtsextreme beschmierten eine Außenmauer der Synagoge mit roter und weißer Lackfarbe die Parolen »Deutsche fordern: Juden raus« und »Juden raus«. Einen Synagogeneingang versehen sie mit Hakenkreuzen.
Die Schändung der Synagoge vor 60 Jahren reiht sich ein in eine Kette ähnlicher Delikte – und wirft ein Licht auf den Antisemitismus in der Nachkriegszeit. In den folgenden acht Wochen werden bundesweit 618 solcher Straftaten verzeichnet, bevor dann wieder ein merklicher Rückgang eintritt.
REAKTIONEN Aber auch zuvor war es zu zahlreichen ähnlichen Vorkommnissen in NRW gekommen. Unter anderem wurden im Januar 1959 die drei Eingangstüren der neuen Düsseldorfer Synagoge und die Gedenktafel der Gemeinde mit Hakenkreuzen beschmiert.
Der Kölner Vorfall wird als Angriff auf die neu etablierte Gemeinde verstanden, so der Publizist Michael Lausberg im Rückblick. Entsprechend folgen zahlreiche Reaktionen der Solidarität. NRW-Landtagspräsident Wilhelm Johnen besucht am Zweiten Weihnachtstag den damaligen Kölner Rabbiner Zvi Asaria. Der Kölner Stadtrat verurteilt »mit Empörung und schmerzlichem Mitempfinden die verwerflichen Vorgänge in der Weihnachtszeit«.
In den Schmierereien an der Kölner Synagoge und den folgenden antisemitischen Straftaten bricht der fortlebende Judenhass auf.
Beim Besuch des ehemaligen KZ Bergen-Belsen am 2. Januar 1960 bedauert Kanzler Konrad Adenauer, der an der Wiedereinweihung der Kölner Synagoge teilgenommen hatte, den Vorfall. Gut drei Wochen später nennt er in einer Fernsehansprache die Taten der beiden Rechtsextremen Arnold Strunk und Franz Josef Schönen »eine Schande und ein Verbrechen«.
TÄTER Die 25-Jährigen schändeten an Heiligabend nicht nur die Synagoge, sondern suchten drei Stunden zuvor das Mahnmal für die NS-Opfer am Hansaring auf und überpinselten mit schwarzer Farbe die Inschrift »Dieses Mal erinnert an Deutschlands schandvollste Zeit 1933-1945«.
Für Adenauer ist die Synagogenschändung zwar ein Fall »politischer Natur«. Die anderen, danach folgenden Vorfälle bewertet er aber überwiegend als »Flegeleien ohne politische Grundlage«. Im deutschen Volk habe der Nationalsozialismus keine Wurzel, zeigt sich der damalige Regierungschef überzeugt.
In den Schmierereien an der Kölner Synagoge und den folgenden antisemitischen Straftaten bricht aber der fortlebende Antijudaismus auf, der in der Nachkriegszeit unter der Decke gehalten wurde, so der Erfurter Historiker Karl-Joseph Hummel. Die Synagogen-Schändung habe zahlreiche, nicht miteinander zusammenhängende Nachahmertäter gefunden. Für die DDR habe sich die willkommene Gelegenheit geboten, den Westen als Hort des Faschismus zu brandmarken.
Aus der Kölner Synagogenschändung und den folgenden Vorfällen werden zwei politische Konsequenzen gezogen.
GESTAPO Mit der Kölner Synagogenschändung, dem wenige Monate zuvor begonnenen Ulmer Einsatzgruppen-Prozess gegen zehn Gestapo- und Polizeiangehörige, die mehr als 5500 Juden ermordet hatten, sowie dem im Frühjahr 1961 startenden Eichmann-Prozess sei die Schweigephase über die weithin verdrängte Geschichte der Schoa und des Nationalsozialismus durchbrochen worden.
Aus der Kölner Synagogenschändung und den folgenden Vorfällen werden zwei politische Konsequenzen gezogen. Aus der Erkenntnis, dass es Versäumnisse in der Aufarbeitung der deutschen Schuld gegeben hat, beschließen die Kultusminister der Länder im Februar 1960, dass der Nationalsozialismus Schwerpunkthema im Geschichtsunterricht werden muss.
Zudem verabschiedet der Bundestag wenige Monate später ein »Gesetz gegen Volksverhetzung«. Beobachter äußern sich skeptisch, was die Umsetzung angeht. Denn viele der Polizeichefs und Richter damals hatten ihre Karriere schon unter Adolf Hitler begonnen.