Schweigend kommt Ruth (Name geändert) in das Kunstatelier. Ein kurzes Kopfnicken zur Begrüßung, dann nimmt sie sich Kerzenwachs und fängt an. Die anderen Teilnehmer sagen: »Hallo«. Ihr Blick wird offener. »Früher war sie bleich und noch verschlossener«, sagt Michael Bensman, Leiter und Initiator des Kunstateliers für Menschen mit Behinderungen. Ruth stellt sich einen Stuhl vor den Ofen, in dem sie zu einem Zopf geflochtenes Wachs wieder weich werden lässt, um es noch besser bearbeiten zu können.
Michael Bensman und die Mitarbeiterin Inessa Gorodetskaia haben bereits alles vorbereitet. Der Ofen ist vorgewärmt, es duftet nach Kerzenwachs. Auf silbernen Tabletts liegen Wachssteine, überall stehen und liegen Kerzen unterschiedlicher Formen herum.
Für Dina sind Dienstag, Mittwoch und Donnerstag immer ganz wichtige Tage – denn an diesen hat das Kunstatelier geöffnet. »Ich bin von Anfang an dabei«, sagt sie. Dina stammt aus Litauen und hat schon eine erwachsene Tochter. »Mir bringt es große Freude. Mach ich es auch gut?«, fragt sie Michael Bensman. Der nickt. Besser gehe es nicht. Bensman und Gorodetskaia, die früher in der Berliner Spastikerhilfe arbeitete, leiten die Teilnehmer des Ateliers an, sie teilen sich eine Dreiviertelstelle.
Initiative Vor eineinhalb Jahren lud Michael Bensman Menschen mit Behinderung ein, mit ihm gemeinsam zu malen. Er setzte sich ins Gemeindehaus in der Fasanenstraße – und wartete auf Interessierte. Und sie kamen. Es wurden immer mehr, und so entwickelte der 53-jährige Heilpädagoge und Künstler die Initiative. »In einer jüdischen Gemeinde muss es auch Angebote für behinderte Menschen geben«, ist Bensman überzeugt. Behinderte dürften nicht ausgeschlossen werden.
Für sein Vorhaben suchte er Unterstützung. Und fand sie. Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWSt) hat mithilfe der »Aktion Mensch« in Gemeinderäumen in der Joachimstaler Straße das Kunstatelier eingerichtet. Das Projekt mit der Zielsetzung einer langfristigen Integration wird von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin unterstützt.
kreativ »Unsere Zielgruppe sind in erster Linie jüdische Zuwanderer mit behinderten Familienmitgliedern. Bisher fanden Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede in rechtlicher und psychosozialer Hinsicht nicht ausreichend Unterstützung«, meint Hannelore Altmann von der ZWSt. Durch das Kunstatelier könnten die Betroffenen das oftmals familiäre und gesellschaftlich isolierte Umfeld aufbrechen. Bensman hofft, bei den Betroffenen kreatives Potenzial zu wecken und ihr Selbstbewusstsein zu stärken.
Überwiegend werden im Kunstatelier Symbole und Gegenstände jüdischer Tradition und Kerzen angefertigt. »Nun suchen wir nach Verkaufsmöglichkeiten«, sagt Hannelore Altmann. Beim Straßenfest der Jüdischen Kulturtage hätten sie bereits einen Stand gehabt und Kerzen verkauft. Die Einnahmen sollen dazu beitragen, das Projekt zu unterstützen.
Durch Öffentlichkeitsarbeit und Ausstellungen soll auch ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Menschen mit Be-
hinderung ein Teil der Gesellschaft sind und darüber hinaus mit ihren Fähigkeiten eine Bereicherung darstellen können.