Der festliche Rathaussaal in Erfurt war geschmückt, doch leider nicht gut besucht. »Es ist unterschiedlich mit dem Publikum«, bekennen die Veranstalter der 19. Jüdisch-Israelischen Kulturtage. »Manch- mal sind wir gut besucht und manchmal hätten wir gerne noch mehr Publikum.« Dennoch fällt die Bilanz der Kulturtage positiv aus.
Im Rathausfestsaal stand am Freitagabend eine der prominentesten Vertreterinnen der jüdisch-deutschen Jazz-Kulturszene auf der Bühne: Julie Sassoon, eine junge Frau, die erst seit wenigen Jahren in Deutschland lebt. In jenem Land, das ihre Familie nie vorher bereist hatte. Denn: Deutschland war tabu.
neues Leben Die Familie stammte mütterlicherseits aus dem kleinen Schwarzwalddorf Kippenheim. Während die Großeltern Ende der 30er-Jahre flüchten konnten, wurden deren Eltern nach Auschwitz deportiert. Julie Sassoon ist nun zurück und an jenem Abend als Pianistin zu Gast in Erfurt: »Ich spiele jetzt das Stück New life, es ist symbolisch für mich. Ich wohne in Berlin und habe meine jüdische Seite hier neu entdeckt. Berlin und Kippenheim sind nicht eins. Ich habe einen deutschen Mann geheiratet. Wir haben eine Tochter, und nun lebe ich hier!«
Die schlanke, schwarz gekleidete Frau mit der blonden Lockenmähne setzt sich an den Flügel und spielt eine lange Jazz-Improvisation. Von sinnlich leisen Tönen bis hin zu kraftvoll, energiegeladen, aufbäumenden Rhythmen. Ihr Leben, sagt sie später, sei anders verlaufen, als je geplant. Nie hätte sie sich vorstellen können, eines Tages in Deutschland zu wohnen.
Emigration Die Geschichte ihrer jüdischen Großmutter war zu schmerzhaft. Die Wertheimers – damals in Kippenheim zu Hause – haben ihre Eltern verloren, mussten emigrieren, alles zurücklassen und haben in Großbritannien ein neues Leben aufgebaut.
Mitten hinein in diese Erinnerungen an ein Leben der Vernichtung wurde Julie Sassoons Mutter geboren. Auch sie mochte jahrelang nicht über die Vergangenheit sprechen. »Jetzt ist sie in Berlin, besucht uns dort und passt auf unsere Tochter auf, während ich hier gastiere.«
Sie habe sich nie als jüdische Musikerin begriffen, doch hier sei es ihr bewusst geworden, dass ihrer Musik ein melancholischer Schmerz innewohnt. Ihr Mann ist ebenfalls Musiker. In Berlin gastierte sie kürzlich beim Gedenken an die Pogromnacht 1938 in der Fasanenstraße. Der Raum war übervoll, erzählt sie. »Hier in Erfurt hätte ich gerne mehr Publikum gehabt.« Doch vielleicht war es dem Angebot des Abends in der Stadt geschuldet oder den Berührungsängsten, die künstlerische Qualität der Pianistin war brillant. Julie Sassoon hatte die Kulturtage bereits Tage zuvor eröffnet. Nun also ein Konzert zum Abschluss mit einer Musik jenseits des Klezmers.
Thüringenweit Acht Städte haben sich thüringenweit an den Kulturtagen beteiligt. Trotz mancher klammer Kasse sei dies eine enorme Leistung, so die Veranstalter des Fördervereins Alte & Kleine Synagoge Erfurt, die sich noch mehr Austausch zwischen den Städten wünschen.
Als am späten Sonntagnachmittag das Abschlusskonzert der Kulturtage in der Neuen Synagoge stattfand, waren die Plätze allerdings gut gefüllt. »Tefillah und Shirah. Gebet und Lied« – Kantoren und Studenten des Abraham Geiger Kollegs Potsdam füllten den Gebetsraum mit liturgischen Gesängen. Ein beeindruckender Abschluss, vor allem für die Jüdische Landesgemeinde selbst.