»I am so exhausted«, stöhnt Dan Kahn und macht dabei ein sehr glückliches Gesicht. Gemeinsam mit sieben anderen internationalen Dozenten gibt der in Detroit und Berlin lebende Musiker in der zweiten Woche der Herbstferien im Jüdischen Gemeindezentrum an der Gelsenkirchner Georgstraße einen Klezmer-Workshop für junge Menschen.
Es ist der letzte Probentag vor dem großen Abschlusskonzert auf Schloss Horst. Licht fällt durch bodentiefe Fenster vom Innenhof des modernen Baus her in den großzügigen Saal, in dem sich viele junge und einige erwachsen klingende Stimmen vielsprachig mischen. Etwas abseits improvisiert der Klarinettist Merlin Shepherd lose gemeinsam mit Jake Shulman-Ment, es hat etwas wunderbar Beiläufiges. Gebannt werden die beiden Profis dabei von Kinderaugen beobachtet, bevor sie sich disziplinieren.
Vorbild Denn Deborah Strauss und Miléna Kartowski sind gerade dabei, den rund 30 Kindern und Jugendlichen im Alter von sieben bis 16 Jahren die Hochzeitsszene zu erklären. In Englisch, Jiddisch und manchmal von Diana Matut spontan ins Deutsche übersetzt. Es ist im Grunde eine choreografische Meisterleistung, diese lebhafte Gruppe dazu zu bringen, genau das zu tun, was Strauss, die häufig nur noch anhand ihrer aus dem Pulk der Prozession hinter Braut und Bräutigam ragenden schwarzen Pulswärmer zu erkennen ist, verlangt: »This is how we do it in the States«, sagt die New Yorkerin, »Stand straight, Achsel zu Achsel!« »Machen wir auch ein Glas kaputt?«, fragt sich derweil Elias und kichert.
»Kinder sind offener«, erklärt Andreas Schmitges, der sich selbst schmunzelnd als »künstlerischen Leiter« des Projekts bezeichnet. Voriges Jahr hat der studierte Jazzgitarrist die Veranstaltung erstmals organisiert. Dass es eine Neuauflage gibt, zeigt ihm, dass es eine gute Idee war. Rund die Hälfte der Teilnehmer habe 2012 bereits mitgemacht, viele hätten diesmal Geschwister und Freunde mitgebracht: »Wir machen hier etwas, das bleibt.«
Taktgefühl So intensiv könne im Alltag nicht musiziert werden, schon gar nicht unter Anleitung solch fähiger Dozenten, »das ist allererste Sahne«. Die Kosten sind überschaubar: 120 Euro pro Teilnehmer sind angesichts dessen, was geboten wird, nicht viel. Percussionist Shakir Ertek gibt gerade mit einer Wasserflasche und einem Drumstick den Rhythmus vor, aus dem gleich »We will rock you« von Queen werden wird. Auch die Star Wars-Melodie ist im Repertoire, das sei wichtig. Turnschuhe wippen dazu im Takt, als wollten sie Schmitges Recht geben.
Allein, dass nicht auch Angehörige anderer Gemeinden mitmachten, bedauert Hausherrin Judith Neuwald-Tasbach – »aber das kann ja noch werden«, fügt sie schnell hinzu. Sie genießt den Trubel sichtlich. »Gestern Abend war das Dozentenkonzert, es war brechend voll und so schön«, erzählt sie, während Helferinnen das Mittagessen herbeibringen. Auch das ist fester Bestandteil des Workshops: eine gemeinsame Mahlzeit. Die Dozenten sitzen dabei inmitten der Kinder, albern, lachen mit ihnen herum und besprechen Details. Ilya Shneyveys unterhält sich auf Russisch mit der zwölfjährigen Ansatasia, deren – wie der meisten Kinder hier – Muttersprache Russisch ist.
Dauergäste »Voriges Jahr«, fährt Neuwald-Tasbach fort, »haben einige Kinder geweint, so traurig waren sie, dass die Woche vorüber war.« Fast melancholisch wirkt Barbara, die junge Gitarristin, schon jetzt, wie sie etwas verloren auf ihrem Stuhl sitzt, das Instrument auf dem Schoß, und von Dan Kahn Griffe erklärt bekommt. Auch sie war im letzten Jahr dabei. Und würde im nächsten wiederkommen.
Das Konzert am Sonntag ist der würdige Abschluss dieses ereignisreichen und eindrucksvollen Workshops, findet Schmitges, der es sichtlich genießt, das Treiben im Saal auch mal eine zeitlang einfach nur beobachten zu können. Auch Schloss Horst selbst bietet ein schönes Ambiente. Die Glashalle, in der die Hulyanke-Session zum zweiten Mal stattfinden wird, führt architektonisch alt und neu zusammen und habe zudem, versichert der Musikpädagoge, eine wunderbare Akustik.
fortsetzung Vorsichtig optimistisch ist Neuwald-Tasbach, was eine dritte Auflage des Workshops im Rahmen des »klezmer. welten«-Festivals nächstes Jahr angeht. Wenn sie sich so umsehe, würde das die Kinder »wirklich glücklich machen. Da wir das allein aber gar nicht finanzieren können, müssen wir dankbar für dieses Geschenk sein.« Und hoffen, dass das Kulturreferat der Stadt Gelsenkirchen und seine Partner – der Zentralrat der Juden in Deutschland sowie das Kultusministerium NRW – auch nächstes Jahr mit dafür sorgen, dass Weltklasse-Dozenten wieder internationales Flair in den Gemeindesaal bringen. Um am Ende zwar erschöpft, aber glücklich zu sein: »It was a great week«, sagt Kahn.