Premieren, Promis und Porträts: Die 5. Jüdischen Filmtage München waren ein Erfolg auf ganzer Linie. Besonders groß war der Andrang bei der Premiere des Films Der letzte Mentsch mit seinen beiden Hauptdarstellern Mario Adorf und Hannelore Elsner im Gemeindezentrum am Jakobsplatz.
In dem Film, der am 3. April in den deutschen Kinos anläuft, geht es um einen Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz, der nach der Befreiung nicht in sein altes Leben zurückkehrte, sondern mit der Änderung seines Namens Menahem Teitelbaum in Marcus Schwartz auch den letzten Hinweis auf seine Herkunft auslöschte.
suche Die Beerdigung eines Bekannten konfrontiert ihn im hohen Alter jedoch mit der Frage nach dem eigenen Tod – und dem Wunsch, auf einem jüdischen Friedhof begraben zu werden. Doch dafür muss er erst seine Jüdischsein beweisen. So macht er sich in seiner ungarischen Heimat auf die Suche nach Beweisen.
Dem Regisseur Pierre-Henry Salfati – der gemeinsam mit Almut Getto auch das Drehbuch zum Film schrieb – ist es gelungen, daraus ein mitreißendes und facettenreiches Roadmovie zu machen, das den Zuschauer immer wieder überrascht. Wesentlichen Anteil daran hat die zweite Hauptfigur des Films: die junge Deutsch-Türkin Gül, gespielt von Katharina Derr.
Diese stellt in jeder Weise einen Kontrapunkt zum alten Juden dar. Sie bietet Schwartz spontan ihre Hilfe an und fährt ihn nach Ungarn. Was zunächst der Suche nach Abenteuer, Abwechslung und nicht zuletzt auch dem verlockenden Honorar entspringt, entwickelt sich im Verlauf der gemeinsamen Fahrt zu Wertschätzung und Achtung.
forsch Für den Zuschauer wird Gül zu einer Art Guide in das jüdische Leben von Schwartz und in dessen Vergangenheit. Dass Gül eine junge Türkin ist, hat dabei gleich zwei Vorteile für das Verständnis des Holocausts und das Trauma der Überlebenden: Ihre Herkunft lässt mögliche Schulddiskussionen gar nicht erst aufkommen. Ihre Jugend, ihr forsches Auftreten und ihre direkte Art machen Gleichaltrigen den Zugang zu der für viele junge Menschen fernen Thematik leicht, können sie sogar einladen, sich damit näher auseinanderzusetzen.
Ernstes und Heiteres, Enttäuschung und Hoffnung, Nachdenklichkeit und Witz ist den Protagonisten des Films eigen, die beide auf jeweils ihre Weise auf der Suche nach ihrer Identität sind. Situationskomik und unerwartete Wendungen lockern die Geschichte immer wieder auf.
Diese Mischung ist ein Element, das den Film so sehenswert macht. Und doch, betonte die Leiterin des Kulturzentrums der IKG, Ellen Presser, sei es für einen Produzenten immer auch ein Wagnis, ein Drehbuch umzusetzen, nicht zuletzt wenn es um das Thema Schoa geht. Presser zollte der »Frau mit Visionen« Respekt: Anita Elsani von der Produktionsfirma Elsani hatte sich an das Drehbuch gewagt. Sie war an diesem Abend ebenfalls nach München gekommen, ebenso wie Alexander Geisselmann vom Berliner »farbfilm verleih«.
ostjudentum Anita Elsani war beeindruckt von dieser jüdischen Geschichte über den Holocaust, die in der Gegenwart spielt. Und auch die Umsetzung hat sie überzeugt: Selbst die weitestgehend verloren gegangene Welt des orthodoxen Ostjudentums erwacht auf dieser Reise wieder zur Gegenwart. Menahem Teitelbaums Reise in die Vergangenheit führt an seinem Geburtsort in die Überbleibsel dieser Welt. Seine sonst nie um einen forschen Spruch verlegene Begleiterin Gül zieht sich hier zunächst zurück in die Rolle der stillen, aber höchst aufmerksamen Beobachterin.
Umso intensiver tritt hier die Schauspielerin Hannelore Elsner als Ethel in Aktion. Die blinde Frau hat sich trotz ihres hohen Alters jugendlichen Elan, Lebensfreude und Zukunftserwartungen erhalten. Nach der Filmvorführung bekannte Elsner im Podiumsgespräch mit Moderator Armand Presser, dass sie von dem Drehbuch sofort angetan gewesen sei. Sie plädierte dafür, dass der Kinofilm nicht allein im Zusammenhang mit Holocaust-Gedenktagen gezeigt werden solle. Der letzte Mentsch sei vielmehr ein universell gültiger Film über Identität, Heimat und Zugehörigkeit, sagte Elsner.
Wenn man eine solch psychisch schwere Rolle wie die des Holocaust-Überlebenden Teitelbaum auf der Suche zu sich selbst spielt, kann man dann nach einem Drehtag eigentlich abschalten, fragte Armand Presser. Als herausragender Schauspieler kann Mario Adorf das. Dass ihn die Figur des Menahem Teitelbaum und der historische Hintergrund bewegt haben, brachte er dennoch ebenso deutlich zum Ausdruck.
Zeitzeugen Aber auch aus einem anderen Grund, legte Adorf seinen Film den Zuschauern ans Herz. Der letzte Mentsch zeige mit filmischen Mitteln, wie von der Schoa eindrücklich erzählt werden könne. Ihm ist es wichtig: »Solange es noch Zeitzeugen gibt, ist das, was während der Schoa geschehen ist, klar belegbar.« Es dürfe nie passieren, dass der Holocaust geleugnet wird, forderte Adorf.
Dazu trage dieser Kinofilm bei, ist Mario Adorf überzeugt. Er jedenfalls wünscht diesem Kinofilm möglichst viele Zuschauer: »Wir wissen alle, dass er kein Blockbuster werden kann. Es wäre für mich schon ein Lohn, wenn Sie alle zu Freunden und Bekannten sagen: Schaut ihn euch an!«
Angesichts von Mario Adorfs Charisma wird der Der letzte Mentsch ganz sicher sein Publikum finden. Auch deshalb kann der letzte Satz im Film, gesprochen von der jungen Türkin Gül, für Mario Adorf ebenso gelten wie für die von ihm verkörperte Figur des Menahem Teitelbaum: »Respekt, alter Mann!«