Brutalität zeigt sich in Puzzleteilen: ein Mädchen, das begraben unter Leichen überlebt, ein Fluss, der sich rot färbt von Blut, ein gelähmter Großvater, der vom Balkon gestoßen wird. Es sind Erinnerungssplitter an die Massaker, die während des Nationalsozialismus an Juden in der Ukraine verübt wurden.
Im Projekt »Wege der Erinnerung« wurden persönliche Geschichten zusammengetragen. Initiiert wurde das Projekt von der Leiterin der Sozialabteilung der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Olga Rosow, gemeinsam mit dem Historiker Matthias Richter. Unterstützung kam unter anderem vom Auswärtigen Amt, der Zentralrat der Juden in Deutschland übernahm die Schirmherrschaft.
Es begann mit Erinnerungen Betroffener im Treffpunkt für Holocaust-Überlebende sowie im Seniorenzentrum der Gemeinde. Olga Rosow erinnert sich an erste Gespräche bereits im Vorfeld des 75. Gedenktages im vergangenen Jahr. Durch eine kleine Anzeige in der Gemeindezeitung fand man weitere Zeitzeugen für Interviews. »Die Jüdische Gemeinde Düsseldorf ist eine Bukowiner Gemeinde von ihrer Geschichte her«, umreißt es Historiker Richter.
Familie Nach dem Krieg seien viele Menschen aus dem ehemaligen rumänisch-ukrainischen Bereich in die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt gekommen. Mit der Zuwanderung in den 90er-Jahren wiederholte sich dies. So stammen nicht wenige Gemeindemitglieder ursprünglich aus der Region oder hatten Familie dort.
Olga Rosow ist eine von ihnen. Die Leiterin der Sozialstation stammt ursprünglich aus Kiew und hat einen persönlichen Bezug zu den Tragödien von Babi Jar und Kamjanez-Podilskyj. Bei den dort 1941 verübten Massenerschießungen wurden mehr als 55.000 Juden innerhalb weniger Tage ermordet. Auch die Familie von Olgas Großmutter, zwölf Menschen, waren darunter.
Das Projekt »Wege der Erinnerung« widmet sich dem Thema auf unterschiedliche Weise. Es umfasst Interviews mit Zeitzeugen und Reisen an die historischen Orte. Es steht für Vernetzung und Austausch über Grenzen hinweg, zwischen Generationen und Religionen. Und es mündete in einer Wanderausstellung, die in Deutschland wie auch in der Ukraine gezeigt wurde und wird. Außerdem will es in die Zukunft weisen mit einer Internetplattform für Bildungsarbeit: Schlagworte, die zeigen, wie vielgestaltig das Projekt ist. »Die Schoa durch Erschießen ist in Deutschland nur lückenhaft dokumentiert und wenig bekannt«, erläutert Matthias Richter.
Dabei sei das Ausmaß dieser Massaker erschreckend. »Wir haben noch Zeitzeugen. Es ist für uns ganz wichtig, dass wir diese lebendige Geschichte noch weitertragen können«, beschreibt Olga Rosow ihre Motivation. Die Erinnerungen der Zeitzeugen wurden zunächst in Düsseldorf und umliegenden Städten gesammelt, dann auch vor Ort in der Ukraine. »Wir hatten Begegnungen mit wunderbaren Menschen durch das Projekt«, so Olga Rosow.
Reise Die in Deutschland gesammelten Interviews waren Anknüpfungspunkte für eine Reise auf den Spuren der Opfer, die dann im Frühsommer 2016 mit einer Delegation zu Orten wie Babi Jar und Kamjanez-Podilskyj führte. Während der zehntägigen Reise kam es zu Begegnungen mit weiteren Zeitzeugen sowie zum Austausch mit Menschen und Organisationen, die vor Ort Geschichts- und Erinnerungsarbeit leisten.
Auch in der Ukraine sind die NS-Massaker nicht so umfassend aufgearbeitet, wie es der historischen Bedeutung und dem Ausmaß der persönlichen Katastrophen angemessen wäre. Nach den Begegnungen habe er jedoch den Eindruck, dass das Interesse hier auch von ukrainischer Seite mittlerweile groß sei, so Historiker Richter. Und Mitorganisatorin Olga Rosow ist nachhaltig beeindruckt von den vielen Erfahrungen: »Eine wunderbare, sehr interessante Reise, die für mich emotional sehr bewegend und intensiv war.«
Die Ausstellung mit den schlichten Holzstelen ist der eine öffentliche Aspekt des Projekts. Zu sehen war sie bereits in Düsseldorf im Foyer der Volkshochschule, am 7. März wird sie im Kreishaus in Gelsenkirchen eröffnet, dann geht sie nach Essen ins Sozialgericht und soll danach an andere Orte ziehen. Auch in der Ukraine wurde die Ausstellung gezeigt, unter anderem im Nationalen Historischen Museum in Kiew. »Mit großem Medien- und Publikumsinteresse«, so Matthias Richter.
Unter dem Arbeitstitel »Erinnerung lernen« sollen die Orte der Massaker mit Erinnerungsstellen, mit Mahn- und Gedenkstätten, durch Erinnerungsarbeit belebt werden. »Wir planen neue Reisen, weitere Workshops, eine Vernetzung der Mahn- und Gedenkstätten«, berichtet Matthias Richter. So ist auch die Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus involviert in das Projekt, das weiterhin unter dem etwas sperrigen Titel »Ausbau der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in den Ländern der Östlichen Partnerschaft und Russland« durch das Auswärtige Amt gefördert wird.
Internet »Wege der Erinnerung« ist ein Projekt, das in die Zukunft wirken soll. Die nächsten Orte für die Ausstellung stehen fest, weitere sollen folgen. Im Werden ist auch eine Internetplattform – mit Geschichten der Zeitzeugen, Fotos und Videos, die als didaktisches Material für Schüler und Lehrer zur Verfügung gestellt werden sollen. »Zu den Massenerschießungen in der Ukraine ist ganz wenig in den deutschen Schulen bekannt, und wir möchten das mit den anschaulichen und bewegenden Geschichten der Zeitzeugen ändern«, erklärt Olga Rosow. »Wir haben etwas ins Rollen gebracht, es geht mit vielen Kooperationen weiter, hoffentlich auch mit Bildungseinrichtungen.«
Orte und Menschen klingen nach, nicht nur bei den Projektkoordinatoren, sondern auch im Besucher der Ausstellung. Man muss sich ein wenig Zeit nehmen, sich einlassen auf die Texte. Persönliche Geschichten, die von einem Zeitzeugen erzählt werden, treffen tiefer als reine Buchlektüre, das wird auch hier wieder deutlich.
Am 7. März wird die Ausstellung im Kreishaus von Recklinghausen eröffnet.
Weitere Informationen finden Sie unter www.babyn-jar.org