Mit einer zukunftsweisenden Idee aus der Vergangenheit bricht die Jüdische Gemeinde Hamburg ins neue jüdische Jahr 5777 auf. Dafür änderte sie sogar ihre Satzung. Wie schon im ereignisreichen Jahr 1867 hat sich innerhalb der bestehenden Einheitsgemeinde eine Reformsynagoge gebildet, deren Gründung jetzt mit einem feierlichen Kabbalat Schabbat gewürdigt wurde. Erste große Neuerung: Frauen und Männer saßen erstmals in einem Gottesdienst der heutigen Jüdischen Gemeinde Hamburg nebeneinander. Und: Nach der Satzungsänderung können jetzt liberal konvertierte Juden Mitglied der Jüdischen Gemeinde Hamburg sein.
Rabbiner Henry G. Brandt, Amtsrabbiner der Jüdischen Gemeinde Bielefeld und Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, führte durch den Gottesdienst, an seiner Seite Kantor Paul Yuval Adam. Sie wurden begleitet von 30 Mitgliedern der Jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld und ihrer Vorsitzenden Irith Michelsohn. Der Saal des Jüdischen Kulturhauses – einst Turnhalle der Israelitischen Töchterschule – war für Abend- und Morgengottesdienst zum Betsaal mit Bima und Toraschrank umgestaltet worden.
strömungen »Ich bin beeindruckt und dankbar, dass die Einheitsgemeinde Hamburg den Weg für viele Strömungen des Judentums öffnet, damit sich in ihr alle Hamburger Juden wohlfühlen«, sagt Brandt und betont einerseits die Gleichstellung der Frau und andererseits, dass die Reformsynagoge kein Judentum »light« sei, sondern sich auf traditioneller Basis den Anforderungen einer neuen Zeit und der Vielfalt im Judentum stelle. Adjektive wie progressiv, liberal oder reformiert lehne er ab.
Zudem freut sich der 89-Jährige, dass die Neugründung der Reformsynagoge an die Hamburger Tradition anknüpft, von der im 19. Jahrhundert das liberale Judentum in Europa ausging. Am 3. November 1867 verabschiedete der damalige Tempelverband die »Statuten der Hamburger Deutsch-Israelitischen Gemeinde«. Schon damals verhinderte die Gemeinde eine Spaltung.
Nach jahrelangen Gesprächen hatten sich Anfang Juli 25 Hamburger Jüdinnen und Juden getroffen, um die Reformsynagoge innerhalb ihrer Gemeinde mithilfe der Union progressiver Juden zu gründen. »Wir legen großen Wert darauf, dass die Reformsynagoge ein Teil der Jüdischen Gemeinde Hamburg ist und auf keinen Fall außen steht«, sagen Michael Heimann und Wolfgang Trautvetter. Heimann ist Mitglied im Beirat der Einheitsgemeinde, während Trautvetter in der Kultuskommission der Reformsynagoge arbeitet.
Rückkehr »Wir bauen auf eine innerjüdische Toleranz, bei der alle Juden ihren Weg finden«, sagt Heimann. In der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hamburg, die stark auf die russische Kultur ausgerichtet sei, hätten sich viele Hamburger Juden ebenso wenig aufgehoben gefühlt wie beim orthodoxen Ritus der Einheitsgemeinde. »Viele unserer Mitglieder freuen sich über die Aufnahme der Reformsynagoge in die Einheitsgemeinde«, sagt Trautvetter. Es waren bereits mehrere Mitglieder ausgetreten, jetzt bestehe die Hoffnung, dass sie zurückkehren.
Hamburgs Landesrabbiner Shlomo Bistritzky werde die Reformsynagoge in der Einheitsgemeinde tolerieren, habe aber halachische Bedenken bei der Kaschrut und bei der Nutzung der Friedhöfe, heißt es. Nach liberalem Ritus übergetretene Juden erhielten bei den traditionellen Gottesdiensten keine Alija. »Wir werden auch Lerneinheiten anbieten und die Reformsynagoge in unserem Kindergarten und bei der Jugend bekannt machen«, sagen Heimann und Trautvetter. Die Reformsynagoge wolle denen eine Heimat geben, die bei aller Tradition ein weltoffenes Judentum leben wollen.
»Wir freuen uns sehr über diese Entwicklung«, sagt das Ehepaar Hanna und Chaim Badrian. »Ich habe in Hamburg lange gesucht und bin von der Reformsynagoge begeistert«, meint Ilana Nüssen. Die 88-Jährige sprach den Kerzensegen und zeigte sich beeindruckt, so viele junge Menschen beim Kabbalat Schabbat angetroffen zu haben.