Mit welcher Ernsthaftigkeit Janusz Korczak »das Kind« betrachtete, spürten auch die Jüngsten, die sich im Zentrum der Jüdischen Gemeinde Duisburg – Mülheim/Ruhr – Oberhausen versammelt haben. Sie durften dem Arzt und Schriftsteller auf Augenhöhe begegnen. Seit 2016 ist die Gemeinde im Ruhrgebiet Standort der dritten Dependance der Europäischen Janusz Korczak Akademie, die 2009 in München gegründet wurde und seit 2015 auch eine Zweigstelle in Berlin hat.
NRW-Regionalkoordinatorin Heike Kaminski eröffnete einen Tag vor dem Gedenken an die Holocaust-Opfer in Duisburg die Vernissage »Eine Gegend, in der Menschen und Bücher leben« mit Bildern des Künstlers Alexander »Sasha« Vaisman. Anlass für die Ausstellung sind die Janusz-Korczak-Tage, die seit November vergangenen Jahres bis Ende Februar an den Standorten der Akademie stattfinden.
reformpädagogik Der polnisch-jüdische Kinderarzt und Reformpädagoge Korczak wurde 1878 oder 1879 (das genaue Geburtsjahr ist nicht bekannt, weil der Vater es versäumt hatte, eine Geburtsurkunde ausstellen zu lassen) als Henryk Goldszmit in Warschau geboren. Er schrieb viel über das Wesen und die Rechte der Kinder, wobei er konsequent einen respektvollen Umgang mit ihnen forderte.
Bekannt machte ihn sein Entschluss, die 200 Kinder seines Warschauer Waisenhauses in das Konzentrationslager Treblinka zu begleiten, wo er 1942 gemeinsam mit ihnen ermordet wurde. »Er wollte es ihnen leichter machen. Die Kinder sollten sich die schönsten Sachen anziehen und traten in Zweierreihen an«, berichtete Kaminski in ihrer Rede, die den Zuhörern sichtlich naheging.
Anschließend lernten Kinder der jüdischen Kindertagesstätte die Geschichte anhand des Bilderbuchs Janusz Korczak – Ein Held der Kinder kennen. Kita-Leiterin Viktoria Ladyzhensky versammelte ihre Schützlinge um sich und zeigte ihnen, wie Korczak die Rechte der Kinder unterstützte und in die Tat umsetzte. »Die Kinder in dem Waisenhaus durften mitbestimmen. Es gab einen Kinderrat. Es gab eine Zeitung und ein Kindertheater sowie ein Kinderorchester«, erklärte Ladyzhensky das System Korczaks, der seine Waisenhäuser als eine »Republik der Kinder« organisierte.
»Ich habe mal eine Frau gesehen, die hat ein Kind einfach gehauen«, berichtete daraufhin ein Junge aus der Runde. Und der Gedanke lag nahe, dass Janusz Korczak so etwas wohl nicht geduldet hätte. Mit seinem pädagogischen Werk Wie man ein Kind lieben soll (1919) legte er einen Grundstein für anerkannte Kinderrechte, die er später weiterentwickelte. Er forderte dort in drei Thesen: »Das Recht des Kindes auf seinen eigenen Tod, (...) auf den heutigen Tag und (...) so zu sein, wie es ist.« Erst lange nach Korczaks Tod erhielten Kinderrechte einen eigenen juristischen Text, als am 20. November 1989 die internationale Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen verabschiedet wurde.
Vaisman Aus Korczaks Sicht ist das Kind den Weisesten unter uns ebenbürtig. »Ein Philosoph ist ein Mensch, der sehr gründlich nachdenkt und unbedingt wissen will, wie alles wirklich ist, und wiederum genauso sind Kinder«, schrieb er. Dieses Zitat rahmt eines der Bilder des Künstlers Alexander »Sasha« Vaisman ein. Seine Bilder beeindrucken durch die ernsthafte Reflexion der Reformpädagogik Korczaks. Sie nehmen gleichzeitig Bezug auf die Kindheit, die sich in schillernden Farben und ineinander verschlungenen Formen in der Erinnerung einnistet.
Ein Bild zeigt einen Mann, der hinter einem Jungen steht. Er reicht dem Jungen eine Brille und ein Buch und setzt ihm eine kleine Krone auf. Er nimmt dem Kind nicht die Würde, er unterstreicht sie, indem er dem Jungen hilft, seinen Platz in der Welt zu finden.
Vaisman wurde 1967 im ukrainischen Czernowitz geboren, das als ein Zentrum des jüdischen Lebens in Osteuropa gilt. Heute lebt er gemeinsam mit seiner Frau und seinen vier Kindern in Israel.
Heike Kaminski, die sich in Duisburg auch um die Zusammenarbeit der Gemeinde mit der Europäischen Janusz Korczak Akademie kümmert, betonte am Rande der Vernissage die interreligiöse Arbeit der Akademie. »Das Programm der Akademie behandelt Themen aus jüdischer Sicht, steht aber allen offen.« Beispielhaft berichtete sie von dem Projekt »Frauen(T)räume« für Frauen mit Fluchterfahrung.
Therapie Im August vergangenen Jahres traf sich die Gruppe regelmäßig mit der Duisburger Künstlerin Barbara Koxholt im Besucheratelier des Lehmbruck-Museums. Das Projekt ermöglichte den Frauen, sich über die Kunst und das kreative Gestalten mit der eigenen Geschichte und Situation auseinanderzusetzen. »Es war keine explizit jüdische Veranstaltung, aber wir haben uns dort über religiöse Themen ausgetauscht«, berichtete Heike Kaminski.
Wissen und Verständnis zwischen den Religionen wurde auch im Duisburger Gemeindehaus greifbar, als Rabbiner David Geballe die Synagoge öffnete. »Frag den Rabbiner« hieß es, und sowohl Gemeindemitglieder aus russischsprachigen Ländern als auch nichtjüdische Eltern der Kita-Kinder nutzten die Gelegenheit, mit Vorurteilen aufzuräumen. Eine Frau fragte, ob es wahr sei, dass nur Männer in der Tora lesen dürften, die Frau also hier zurückgestellt und dem Mann eine wichtigere Rolle zugewiesen würde.
antworten Die Antwort des Rabbiners überraschte sie dann. »Im Judentum gibt es einen Unterschied zwischen Mann und Frau. Man geht davon aus, dass sich die Frau der Zeit mehr bewusst ist als der Mann. Der Mann schwebt gewissermaßen etwas über der Zeit«, erläuterte Geballe. Mit dem Einhalten bestimmter Riten zu bestimmten Zeiten solle dem Mann die Zeit mehr bewusst werden, fuhr er fort. Es gebe auch die Sicht, dass alles, was später geschaffen wurde, heiliger sei. Kurzum: Das Tier sei heiliger als die Pflanze und die Frau entsprechend heiliger als der Mann, fuhr der Rabbiner fort. Die Frauen verließen am Ende der Fragestunde erfreut die Synagoge, bevor die Gemeinde Kabbalat Schabbat feierte.
Die Ausstellung der Bilder von Sasha Vaisman sind Teil des Projeks »Respekt – Dialog – Teilhabe« der Janusz Korczak Akademie. Im Rahmen dieses Projekts, in dem es darum geht, Konflikte mit Hilfe der Korczak-Pädagogik zu bewältigen, bietet die Akademie an diesem Donnerstag in Duisburg eine Lehrerfortbildung an.
Die Ausstellung »Eine Gegend, in der Menschen und Bücher leben« endet am 25. Februar mit einer Finissage inklusive Kinderlesung. Sie findet am 25. Februar von 14 bis 17 Uhr im Jüdischen Gemeindezentrum, Springwall 16, statt.