Stuttgart

Rabbiner mit Charme

Vom Sommerfest zum Jubiläumsgeburtstag: Erwin Teufel (r.) beglückwünscht Rabbiner Berger und seine Frau Noemi. Foto: Lichtgut / Oliver Willikonsky

Eben noch hat Erwin Teufel, der frühere Ministerpräsident, auf dem Sommerfest der CDU die Torte zum 65-jährigen Bestehen der Landtagsfraktion angeschnitten. Nun betritt er den Otto-Borst-Saal im Haus der Geschichte – nur wenige Meter von den Parteifeierlichkeiten entfernt. »Es war gar nicht einfach, sich loszueisen«, gibt er einem Bekannten seufzend zu verstehen. Es ist geglückt. So kann sich Teufel einem ganz anderen Jubiläum widmen: Der ehemalige württembergische Landesrabbiner Joel Berger begeht seinen 80. Geburtstag.

Rund 100 Gäste sind gekommen, um ihre Glückwünsche zu überbringen, darunter Prominenz wie Landtagspräsidentin Muhterem Aras oder Stuttgarts Bürgermeister für Recht, Sicherheit und Ordnung, Martin Schairer. Das sagt viel über die Bedeutung Bergers, die weit über die jüdische Gemeinschaft hinausreicht. So verrät Theresa Schopper, Staatssekretärin im Staatsministerium Baden-Württemberg, in ihrem Grußwort, man habe sich vonseiten der Regierung schon manchen Rat bei Rabbi Berger eingeholt – über alle Parteigrenzen hinweg.

Solidarität Neben der Ehrung des Jubilars nutzte Schopper auch die Gelegenheit, zur Wachsamkeit zu mahnen. Sie rief den Fall des AfD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon ins Gedächtnis, der das antisemitische Pamphlet Protokolle der Weisen von Zion von ihrem Fälschungscharakter freigesprochen hatte. »Wir werden den geschichtsvergessenen Stimmen entgegentreten und die jüdische Gemeinde nicht alleinlassen, wenn es gilt, Vorurteilen und Antisemitismus entgegenzutreten«, versprach sie im Namen der Landesregierung.

Nicht nur die Politik, auch das Haus der Geschichte hat in der Vergangenheit von Joel Bergers Kenntnisreichtum und Sprachgewandtheit profitiert. 2002 erhielt er dort einen Forschungsauftrag zur jüdischen Volkskultur im Südwesten. »Ich bin dankbar für viele anregende, auch kontroverse Diskussionen«, würdigte Thomas Schnabel, der Leiter des Hauses, Bergers Streitbarkeit. Es sei schön, dass der Rabbiner seinen Teil der vor zehn Jahren getroffenen Abmachung gehalten habe und man nun nach dem 70. auch seinen 80. Geburtstag in den Räumen der gemeinsamen Wirkungsstätte feiern könne. Ausdrücklich dankt Schnabel auch Bergers Frau Noemi für ihr Engagement: »Man muss Herrn Berger einmal erlebt haben, wenn sie nicht da ist«, so Schnabel. »Ich erinnere mich noch gut, dass sie einmal für 14 Tage nach Wien gereist war. Das war ein einziges Leiden.«

Wie gut die Eheleute harmonieren, können Stuttgarter seit Jahren an den Jüdischen Kulturwochen der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) ablesen, die beide gemeinsam kuratieren. »Joel Berger hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass das Judentum inzwischen als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft wahrgenommen wird«, hielt die IRGW-Vorsitzende Barbara Traub fest. »Er ist ein begnadeter Lehrer, der vielen jungen Menschen den nötigen intellektuellen Schliff verpasst hat.« Seit 1986 hat Joel Berger einen Lehrauftrag an der Universität Tübingen inne.

Verdienste Mit dem Ruhestand hat sich der Träger des Bundesverdienstkreuzes keineswegs ins Privatleben zurückgezogen. »Er ist heute mehr unterwegs als zuvor«, konstatiert Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, in seinem Beitrag zur Feierstunde. Er ruft die bewegte Lebensgeschichte des in Budapest geborenen Rabbiners ins Gedächtnis, der die Schoa im internationalen Ghetto überlebte. Dann kam die Rote Armee, und Berger geriet wieder ins Visier der Machthaber, Gefängnisaufenthalt eingeschlossen. 1968 emigrierte er in den Westen. Die Stationen hießen Regensburg, Dortmund, Düsseldorf, Göteborg, Bremen und schließlich Ende der 70er-Jahre Stuttgart. Lehrers Fazit: »Ausgerechnet in Deutschland hat er jene Freiheit gefunden, die so tief im jüdischen Glauben verwurzelt ist.«

Wie wenig selbstverständlich ein Leben ohne Angst vor Repressionen ist, zeigt der anschließende Vortrag des ungarischen Schriftstellers und Historikers György Dalos zur derzeitigen Situation in seiner Heimat. Ausgehend von der Kampagne gegen den ungarischstämmigen jüdischen Geschäftsmann George Soros geht er hart mit der Regierung Orbán ins Gericht.

»Dass die Plakate pünktlich zur Schwimmweltmeisterschaft in Budapest verschwunden sind, lässt mich an die Olympischen Spiele in Berlin denken, als die Nazis antijüdische Schilder entfernen ließen, um einen positiven Eindruck zu vermitteln«, gesteht Dalos. Die Aushänge selbst seien zwar nicht offen antisemitisch gewesen, aber doch »geeignet, unkontrolliert antisemitische Reaktionen herauszufordern«.

Optimismus Joel Berger setzt den Einsichten seines Freundes den eigenen Optimismus entgegen. »Die Welt hat sich gewandelt, und ich sehe viele positive Veränderungen«, gibt er zu verstehen. »Ich erinnere mich noch an ein Pessachfest im Ausland in den 60er-Jahren, bei dem drei Juden zusammentrafen, die alle in Frankfurt lebten. Als es darum ging, woher sie stammten, nannten sie Südamerika, die Tschechoslowakei und die Schweiz. Heute ist man als Jude aus Deutschland kein Paria mehr. Dafür bin ich sehr dankbar.«

Und dankerfüllt zu sein, sei schließlich eine typisch jüdische Eigenschaft, das sehe man schon an der Länge der Gottesdienste, in denen es darum gehe, Gott gegenüber Dankbarkeit zu zeigen.

Anerkennung und Lob der Gratulanten quittiert Berger ebenfalls mit feinsinnigem Humor und einer Anekdote. »Ich muss gerade an jenen alten Rabbiner denken, der nach einer Reihe vollmundiger Lobreden bemerkte, er wisse genau, dass alle maßlos übertrieben hätten, dann aber hinzufügte: Nun weiß ich wenigstens, wie ihr mich haben wollt, und ich werde versuchen, in der kommenden Zeit so zu sein.«

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