Die Jüdische Gemeinde von Chemnitz hat erstmals seit 1938 wieder einen eigenen Rabbiner. Der 28 Jahre alte Jakov Pertsovsky wurde am Sonntag offiziell ins Amt eingeführt. Der stellvertretende Präsident des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer, sprach bei einer Feierstunde von einem ganz besonderen Tag für die Chemnitzer Gemeinde und einem »sichtbaren Zeichen für das gewachsene jüdische Leben in Deutschland«.
Flüchtlinge Der Rabbiner trete sein Amt in unruhigen Zeiten an, bemerkte Lehrer, der auf die weltweiten Krisen und Kriege verwies, vor denen immer mehr Menschen flüchten, um ihr Leben zu retten. Lehrer sagte, dass die Hetze gegen Flüchtlinge, die seit einigen Wochen in immer schlimmerem Ausmaß zu erleben sei, große Sorge bereite: »Zurzeit richten sich Wut und Hass gegen die Flüchtlinge. Vorher waren es pauschal die Muslime. Wir wissen alle nur zu gut: Es könnten ebenso wir Juden sein.«
Dennoch sei festzustellen, dass es in Deutschland weitaus mehr Toleranz und Mitgefühl als Hass und Gewalt gebe. »Uns großen Religionsgemeinschaften kommt die Aufgabe zu, die Menschen zu stärken, die sich für ein friedliches Miteinander einsetzen. Gewalt gegen andere Menschen, ausgerechnet gegen Menschen, die aus Angst um ihr Leben aus ihrer Heimat fliehen mussten – das widerspricht zutiefst unserem Glauben.«
Rabbinerseminar Rabbiner Jakov Pertsovsky ist in Kiew geboren, kam mit elf Jahren nach Deutschland, wuchs in München auf und machte in Berlin Abitur. Er hat am Rabbinerseminar zu Berlin und der Talmudschule »Kol Torah« in Jerusalem studiert. Im November vergangenen Jahres wurde er in Würzburg ordiniert. »Ihm muss niemand erklären, was Einwanderung bedeutet, wie es ist, sich in einer neuen Kultur, einem neuen Land zurechtzufinden«, so Lehrer.
Mit dem Amtsantritt von Rabbiner Pertsovsky hat die vormals liberale Chemnitzer Gemeinde nach den Worten ihrer Vorsitzenden Ruth Röcher »ihre religiöse Orientierung gewechselt«. »Diese Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen«, betonte Röcher, »aber letztendlich entspricht sie dem Wunsch einer Mehrheit der Gemeindemitglieder. Selbstverständlich bleiben wir aber eine Einheitsgemeinde.«
Im ersten Drittel das 20. Jahrhunderts hatte die Chemnitzer jüdische Gemeinde ihre große Blütezeit, bevor 1938 nicht nur die große liberale Synagoge am Stephanplatz zerstört wurde, sondern auch der letzte amtierende Rabbiner Emil Hugo Fuchs nach Südamerika emigrierte. Kurz nach Kriegsende 1945 wurde die Gemeinde, von der nur sehr wenige Mitglieder die Schoa überlebt hatten, neu gegründet. ja