Der Gottesdienst in der schmucken Leipziger Synagoge ist beendet. Zsolt Balla legt den Tallit zusammen, verabschiedet sich von den Männern, bespricht mit dem einen oder anderen noch etwas. Gut ein Dutzend Gemeindemitglieder konnte er begrüßen – nicht schlecht für einen Montagmorgen in der ostdeutschen Diaspora.
»Ja, wir haben in Leipzig mittlerweile wieder täglich morgens und nachmittags Gottesdienst«, erzählt der Rabbiner nicht unzufrieden. Hinzu kämen viermal die Woche Unterricht und der Schabbat. Das finde man in Deutschland sonst nur noch in Berlin, München, Frankfurt, Köln und Düsseldorf.
Man merkt, der 33-Jährige hat längst Wurzeln geschlagen in der sächsischen Messestadt. Er sei sehr froh, hier zu leben, genieße die Stadt, versichert er. Immerhin hatte er nach Abschluss der orthodoxen Berliner Jeschiwa Beis Zion im Jahre 2009 sehr gezielt seine Schritte hierher gelenkt. Im ersten Jahr agierte er in Leipzig noch als Besuchsrabbiner. Doch bei 1.300 Gemeindemitgliedern ließ sich das irgendwann nicht mehr mit zwei Besuchen im Monat händeln. So zog er mit Frau und Tochter ganz an die Pleiße um. Das zweite Töchterlein kam hier dann bereits Ende 2010 zur Welt.
Zuhören Vermutlich hatte ihm Gattin Marina den Wechsel schmackhaft gemacht. Denn die gebürtige Ukrainerin wuchs weitgehend in Leipzig auf. Auch Ballas Schwiegereltern leben hier – so wie auch das Gros seiner Gemeinde aus der früheren Sowjetunion stammt. Dennoch spricht der Rabbiner kein Russisch. Er bedauert es, sieht aber auch etwas Gutes daran: »Wenn man eine Sprache nicht kennt, hört man zweimal hin.«
Dabei ist der Rabbiner ein Sprachentalent.
Denn obgleich er längst sehr gut Deutsch beherrscht und natürlich Hebräisch, spricht er mit seiner Frau meist Englisch und mit der dreijährigen Tochter Ungarisch. Denn aufgewachsen ist er in Budapest, wo er ein sehr sportbegeisterter Bursche war. Er spielte Basketball und brachte es im Judo sogar zum ungarischen Jugendmeister. Neunjährig wollte er sich dann einer christlichen Gemeinde anschließen. Da rief ihn die Mutter zu sich und sagte: »Zsolt, wir müssen reden.« Erst jetzt erfuhr er, dass er jüdische Wurzeln hat. Und statt in die Kirche ging er fortan in die Synagoge.
Später studierte er in seiner Heimat Wirtschaftsingenieurwesen, ehe er über die Lauder Foundation 2003 nach Deutschland kam. Die entsandte ihn nach Leipzig. Nicht jeder der meist säkular geprägten Juden hier jubelte sofort, als er erfuhr, dass sich ein orthodoxer Rabbi der Gemeinde annimmt. Auch Sachsens langjähriger Landesrabbiner Salomon Almekias-Siegl wirkte darüber anfangs irritiert.
freundlich Doch sein freundlich aufgeschlossenes Wesen ließ Balla schnell Zugang finden. »Er ist eben ein moderner Rabbiner, keiner mit langem Bart, wehendem Mantel und immer leicht gebücktem Gang«, sagt Klaudia Krenn, die Sekretärin der jüdischen Gemeinde, schmunzelnd. »Außerdem sehr liebenswürdig, sehr charmant – auch gegenüber Frauen, was man bei Orthodoxen ja nicht immer hat«, schwärmt sie fast. Vor allem sei er sehr klug: »Es gibt keine Frage, auf die er nicht sofort eine Antwort weiß.«
Auch Josif Beznosov, der Geschäftsführer der Gemeinde, hat Balla schnell schätzen gelernt. Unter ihm sei das jüdische Leben in der Stadt präsenter geworden. Er kümmere sich sehr engagiert, wenn frühere Leipziger Juden die Stadt besuchten, spreche bei Trauerfeiern das Kaddisch, »und er reagiert sofort auf E-Mails«. Was beiden wohltuend auffällt: »Er kann sich gut hineindenken in Juden, die im Sozialismus aufgewachsen sind.«
Einheit Auch Balla selbst sucht den täglichen Brückenschlag zwischen weltlichen und orthodoxen Juden. Was er anstrebt, ist eine Einheitsgemeinde, in der jeder nach seiner Fasson lebt, ob er nun die Synagoge besucht oder seine jüdische Identität lieber im Kulturbegegnungszentrum Ariowitsch-Haus oder beim SV Makkabi Leipzig auslebt. Und doch freut es ihn, dass er mittlerweile ein Viertel der Gemeindemitglieder auch zu religiösen Anlässen trifft, so etwa im Leipziger Torazentrum.
Doch nebenher frönt auch Zsolt Balla einer Leidenschaft, die man dem gesetzten jungen Mann mit Anzug und Kippa nicht sofort zutraut: Er rockt gern mal mit dem E-Bass. In der Band The Holy Smokes, die er mit Freunden noch am Rabbinerseminar gründete, ist er mit seiner einschmeichelnden Stimme sogar der Frontmann.