Nur 15 Minuten dauerte es, bis das Parkett zu beben schien, die Krawatten abgelegt und Jacken abgestreift wurden: Die Gäste des ersten Jüdischen Balls in Dresden verloren am vergangenen Samstag rasch Unsicherheit und Berührungsängste – auch wenn viele von ihnen sich zum ersten Mal zu Klesmer-Musik bewegten. Die richtigen Tanzschritte brachten ihnen mit Humor und flotten Sprüchen die Choreografen Andreas Schmitges und Matti Goldschmidt schon bei.
Schmitges aus Erftstadt und Goldschmidt aus München hatten alle Hände voll zu tun, um die Tänzer in Formation zu bringen, denn mit 150 Gästen – darunter auch etwa 30 Mitglieder der Dresdner jüdischen Gemeinde – war die Ball-Premiere im jüdischen Gemeindezentrum am Hasenberg restlos ausverkauft.
Neue Akzente Michael Rockstroh freute sich sichtlich über den großen Andrang: »Die Neugierde hat viele hierher gelockt«, meinte der Leiter der 14. Jiddischen Musik- und Theaterwoche in Dresden. »Der Ball ist der Höhepunkt des diesjährigen Festivals«, so Rockstroh.
Für die Dresdner jüdische Gemeinde bot der Tanzabend eine weitere willkommene Möglichkeit, ihr Haus für die Allgemeinheit zu öffnen. Auch Michael Rockstroh betonte: »Mit der Jiddischen Musik- und Theaterwoche wollen wir möglichst viele Dresdner erreichen.« Zufrieden stellt der Veranstaltungsleiter fest, dass das Interesse an der Kulturwoche von Jahr zu Jahr wächst.
Am Sonnabend blieb den Tanzlustigen im jüdischen Gemeindezentrum nur wenig Zeit, sich am koscheren Buffet zu laben. Dann griffen die Musiker der Kölner Klesmer-Band »A Tickle In The Heart« und die New Yorker Violinistin und Sängerin Deborah Strauss zu den Instrumenten. Tanzmeister Schmitges rief die Gäste aufs Parkett. »Schwanensee machen wir heute nicht«, beruhigte er seine Eleven, als er sie für den ersten Tanz, einen »Sher«, in Position brachte. Schon bald formten sich zu den schwungvollen Klängen der Band Quadrillen, Reigen und Polonaisen. Wenn nicht jeder gleich den richtigen Dreh fand, machte das gar nichts, die anderen Tänzer zogen ihn einfach mit. »Es geht um Kommunikation und Interaktion, die Freude an Musik und Tanz«, erklärte Schmitges. Den strahlenden und schweißnassen Gesichtern der Tänzer war anzusehen, dass alle ihren Spaß hatten.
Tanzmeister Schmitges warf sich engagiert ins Getümmel, gab »eyns, zwey, drai« das Tempo vor, entwirrte hier einen Knoten und dirigierte dort in die richtige Richtung. »Jetzt kommt Schwung in die Sache«, lobt der Rheinländer seine talentierten Schüler.
Nach einer Verschnaufpause übernahmen Matti Goldschmidt und der israelische Tanz das Zepter. So jung wie der Staat Israel ist die Volkstanztradition des Landes, erklärte der Choreograf. »Schon die Kleinsten lernen im Kindergarten in Israel Volkstänze. Auch die ganze Schulzeit hindurch wird getanzt«, berichtete Matti Goldschmidt. In Deutschland sei das ganz anders. »Wer tanzt denn hier noch?«, fragte Goldschmidt – und bekam von den Dresdnern gleich die passende Antwort: »Na wir!«
Populär Jüdischer Tanz ist überall auf der Welt populär. Goldschmidt und Schmitges nahmen schon in Neuseeland, Österreich, der Schweiz, Russland, England, Frankreich, Schweden und den USA Tanzwillige bei der Hand. Bedauerlicherweise seien aber gerade in Deutschland die Juden wenig tanzfreudig, berichtete Goldschmidt. »Ohne die nichtjüdischen Deutschen gäbe es hierzulande keinen jüdischen Tanz«, ist der Wahl-Münchener überzeugt. Dabei dürfte es das Publikum eigentlich bei keinem Klesmer-Auftritt auf den Stühlen halten. »Klesmer ist Tanzmusik und nicht nur zum Zuhören da«, erklärte Andreas Schmitges.
Noch bis zum 31. Oktober haben Freunde der jiddischen Kultur in Dresden Gelegenheit, ihren Appetit auf Musik, Theater und Film zu stillen. Man darf gespannt sein, ob das Publikum bei den Konzerten mit den »Klezmer Mongrels« und Geoff Berner oder der »global shtetl band« am kommenden Sonnabend die Füße stillhalten kann.