Jüdische Kulturtage

Pop trifft Kol Nidre

Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):

Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.

Seit 1987 versuchen die Jüdischen Kulturtage, Juden und Nichtjuden möglichst viele kulturelle Facetten zu präsentieren. Seitdem hat sich viel geändert: Das Festival wurde vom November in den Spätsommer verschoben – weg vom 9. November, ohne dabei die Vergangenheit zu ignorieren.

»Es geht nicht ohne Gedenken. Aber wir wollen auch einen Einblick ins Heute bieten und an die Zukunft denken«, stellt Martin Kranz fest, seit drei Jahren Intendant der Jüdischen Kulturtage. In diesem Jahr wirbt ein orthodoxer Gartenzwerg mit Pejes, schwarzem Hut und Gießkanne für die 25. Jüdischen Kulturtage Berlin. Damit soll gezeigt werden, dass jüdische Kultur inzwischen wieder tief im Berliner Boden verwurzelt ist und prächtig gedeiht.

Das Eröffnungskonzert, das Kranz als »Glücksfall« bezeichnet, wird ins Gestern greifen. Werner Richard Heymann, Erfolgskomponist der Weimarer Republik, arbeitete mit Ringelnatz und Kästner zusammen, schrieb für die UFA und dann nach der Emigration in Hollywood Filmmusik. Heute kennen nur die wenigsten seinen Namen – Ein Freund, ein guter Freund kann aber jeder mitsingen. Schauspielerin Dagmar Manzel und Pianist Tal Balshai wollen mit ihrem Programm Irgendwo auf der Welt den vergessenen Heymann zum 50. Todestag ehren. (8. September, Synagoge Rykestraße, 20 Uhr)

komponisten Von jüdischen Komponisten hat sich auch Jasmin Tabatabai bei ihrem Auftritt inspirieren lassen. Die Schauspielerin und Musikerin, die mit Alben wie I Ran auch immer wieder ihren iranischen Hintergrund thematisiert, singt auf ihrem ersten deutschsprachigen Album Eine Frau nicht nur eigene Songs, sondern interpretiert auch Lieder von Friedrich Hollaender und Oscar Strauss. Beim Release-Konzert wird sie zusammen mit dem Quartett des Schweizers David Klein auftreten. (15. September, Synagoge Rykestraße, 20 Uhr)

Für die Organisatoren der Kulturtage ist vor allem die Auswahl aus so breiten Angeboten die größte Herausforderung, sagt Martin Kranz. »Für mich ist es wichtig, ein Spektrum zu bieten, ein junges Publikum anzusprechen, sich Bildung und Reflektion zu verschreiben, aber auch gleichzeitig große Popkonzerte zu zeigen.«

Und so lässt er die Berliner Band Ohrbooten mit ihrer freundlichen Mischung aus Reggae und Hip-Hop auf HaDag Nachash treffen. Die Crew aus Jerusalem gehört zu den Grundsteinen der politischen Hip-Hop-Szene Israels – den Text für ihren Hit Shirat Histicker schrieb der Schriftsteller David Grossman. Sie thematisieren wütend und gewitzt große und kleine Probleme des Lebens, ihr Sound orientiert sich an Funk und am Wu-Tang Clan. (10. September, Astra Kulturhaus, 21 Uhr)

Pop-Größe Mit Idan Raichel konnten die Jüdischen Kulturtage eine weitere Größe des israelischen Pops verpflichten. Mit seinem »Idan Raichel Project« trat er schon vor fünf Jahren in Berlin auf. Jetzt, inzwischen ein internationaler Star, wird er bei einem akustischen Konzert einen Mix aus Weltmusik, Afrobeat und arabischen und hebräischen Texten spielen. (12. September, Synagoge Rykestraße, 20 Uhr)

Dass diese Künstler nach Berlin kommen, ist für Martin Kranz keine Selbstverständlichkeit. »Vor sechs, sieben Jahren wäre das schwierig gewesen. Inzwischen will die junge Musikszene aber nach Berlin, unbedingt. Wir merken auch, dass insgesamt mehr israelische Juden zu uns kommen. Das freut uns sehr.«

Eine andere große Herausforderung: Wie ein Programm erstellen, das Juden und Nichtjuden gleichermaßen anspricht, das bestimmte Erwartungen erfüllt und trotzdem keine Klischees fördert? »Das wäre ja sehr einfach: Wir laden uns einfach zehn Klezmer-Bands ein und machen dann mal Kulturtage. Die meisten Nichtjuden verbinden mit Jüdischsein einfach Klezmer. Das ist halt so. Wir haben aber gemerkt, dass sie auch bereit sind, Neues kennenzulernen.«

Selbstverständnis Die dreiteilige Reihe »Was Sie schon immer über Judentum wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten«, versucht, Brücken zu schlagen. Einerseits werden die Rabbiner Gesa Ederberg, Josh Spinner und Tuvia Ben-Chorin neugierige Fragen der Gäste beantworten – andererseits werden auch exklusivere Themen wie jüdisches Selbstverständnis behandelt.

Martin Kranz spürt immer wieder Wissenshunger: »Ich merke, wie viele Fragen die Leute haben. Da wollen wir buchstäblich unsere Türen öffnen. Das ist unser Angebot: Einfach mal über diese Themen zu reden.« Und so gibt es neben der Möglichkeit, Gottesdiensten beizuwohnen auch die Lange Nacht der Synagogen (10. September ab 19 Uhr), mit Führungen und Gesprächen.

Erstmals ist in diesem Jahr das Schloss Parktheater von Dieter Hallervorden Kooperationspartner. Und so wird das Stück Besuch bei Mr. Green von Jeff Baron gegeben, bei dem Michael Degen einen verbitterten Witwer spielt, dem0 von den Behörden ein junger Betreuer zugeteilt wird. (14. September, Schlosspark Theater, 20 Uhr) Auch hier ist Intendant Kranz auf die Reaktion gespannt – das Schlosspark-Publikum gehört sonst vielleicht eher nicht zu den Gästen der Kulturtage.

lesungen Das ist das Thema dieser Kulturtage: Dialog. Mehrere Tage lang wird der evangelische Theologe Felix Leibrock mit Gästen vor der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße aus den drei großen Schriften Tanach, Neuem Testament und Koran lesen. »Wir leben ja nicht in einem luftleeren Raum – das hat natürlich mit den Ereignissen des letzten Jahres zu tun, auch mit Sarrazin. Wir dachten uns: Das kann’s nicht gewesen sein, da muss es Antworten geben. Wir versuchen einen Gegenentwurf. Man kann nur im Dialog miteinander leben.«

Das ist auch der Vorsatz der Veranstaltung »Das Haus, das uns bewohnt«, bei der die Dichter SAID (Deutschland/Iran) und Asher Reich (Israel) im Jüdischen Museum ein »Poetengespräch« führen werden. (13. September, 19 Uhr) »Niemand steht so für Dialog wie diese beiden älteren Herren, die so viel erlebt haben und aus sich schöpfen«, sagt Kranz.

Und so wird die Synagoge in der Rykestraße zum Gottesdienst gefüllt sein, obwohl kein hoher Feiertag ist. Im Jüdischen Museum wird man ernsthaft über das Judentum sprechen, auf diversen Bühnen wird man lachen und singen und kvetchen und vielleicht sogar tanzen. Die Jüdischen Kulturtage Berlin nahen, und das ist ein Grund zur Freude.

www.juedische-kulturtage.org

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