Stimmen

»Ohne dass uns jemand schräg anguckt«

Patrice Kharats (24), Duisburg
Der Ukraine-Krieg beschäftigt mich zurzeit sehr. Meine Eltern kommen aus dem Land, und ich betrachte mich selbst auch als Ukrainerin. Zu sehen, dass mein Heimatland bombardiert wird, bricht mir das Herz. Auch die Proteste im Iran und die Situation in Deutschland, etwa die hohe Inflation, sind für mich gerade Thema. Und dann natürlich der Antisemitismus. Der ist leider immer noch alltäglich. Das hat man in Essen gesehen, wo vor Kurzem auf eine Synagoge geschossen wurde. Nun wurden auch die Sicherheitsvorkehrungen für meine Gemeinde erhöht. Wir sind als Juden nicht sicher in Deutschland.

Wer als Jude erkennbar ist, könnte bei uns nicht ohne Gefahr die Hauptstraße entlanglaufen. Ich selbst habe viele antisemitische Vorfälle erleben müssen. In der Schule wurden mir Hakenkreuze auf die Hefte gemalt oder mir wurde gesagt, ich solle genauso wie meine Vorfahren vergast werden. Ich möchte daher nicht, dass meine Kinder einmal in Deutschland aufwachsen werden. Ich glaube nicht, dass man hierzulande das Judentum voll ausleben kann. Irgendwann werde ich also auswandern und ein jüdisches Leben in einem anderen Land leben.

Liora Lendvai (32), Frankfurt
Ich interessiere mich für die aktuelle Israel-Politik, insbesondere im Kontext des Ukraine-Kriegs. Die Verwicklung Israels in diesen Konflikt ist sehr komplex, aber über die deutschen Medien bekommt man darüber nur sehr wenige Informationen, und es ist schwer, sich zur Haltung Israels eine fundierte Meinung zu bilden. Dass durch den Konflikt auch Israels Sicherheit bedroht ist, erkennen viele in Deutschland nicht. Sich eine Meinung zu Israel zu bilden, passiert bei vielen Menschen sehr schnell.

Guckt man sich aber die israelische Innen- und Außenpolitik genauer an, wird es komplizierter. Ich selbst bin in Deutschland aufgewachsen und möchte zurzeit hier auch bleiben. Dennoch blicke ich stets auf Israel. Es ist für mich mehr als nur ein Urlaubsland. Als Jüdin habe ich immer die Möglichkeit, nach Israel auszuwandern. Das ist etwas Besonderes, das ich sehr wertschätze. Für mich bringt es die Pflicht mit, mich mit dem Land auseinanderzusetzen. Ich kann nicht einfach sagen, Israel interessiert mich nicht, solange es keinen Notfall gibt, der mich zum Auswandern zwingt.

Jacob Horowitz (22), Düsseldorf
Mich bewegt die Frage der jüdischen Zukunft in Deutschland. Ich bin Student und im jüdischen Studierendenverband von Nordrhein-Westfalen aktiv. Es ist mir wichtig, dass sich jüdische Studierende zusammentun und ihren Forderungen Gehör verschaffen. Bevor sich jemand äußert, kann die Politik auch nicht wissen, was sie besser tun soll. Nach der langen Corona-Pause sind Veranstaltungen wie die Jewrovision oder der Jugendkongress, die junge Jüdinnen und Juden ansprechen, enorm wichtig. Das gibt uns die Chance, zusammenzukommen und unsere jüdische Identität auszuleben. Ohne Diskriminierung, ohne dass uns jemand schräg anguckt.

Ein großes Problem in den jüdischen Gemeinden ist ein Schwund an jungen Mitgliedern. Wir müssen daran arbeiten, dass sich das wieder ändert. Nur so kann die Zukunft der Gemeinden gesichert werden. Auch wir als Studierende müssen unseren Beitrag dazu leisten, aber auch die Gemeinden sollten mehr in die nächste Generation investieren.
Ein Problem ist, dass es für die Altersgruppe ab 18 Jahren nur wenige Angebote gibt. Der Jugendkongress einmal im Jahr ist großartig, es braucht aber noch mehr, um junges jüdisches Leben zu unterstützen.

Aufgezeichnet von Joshua Schultheis

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