Frankfurt

Offenherziger Diplomat

Hausherr, Geehrter, Laudatorin und Präsident: Salomon Korn, Avi Primor, Maybrit Illner und Dieter Graumann (v.l.) Foto: Rafael Herlich

Die Mainmetropole Frankfurt hat viel zu bieten. Eine weiße Schneepracht gehört normalerweise nicht dazu. Dass sich dennoch so viele Menschen auf den Weg ins Ignatz-Bubis-Gemeindezentrum gemacht hatten, lag daran, dass sie dort einem ganz besonderen Mensch ihren Respekt erweisen wollten: Avi Primor wurde für »seine Verdienste um die Aussöhnung zwischen Deutschland und Israel« mit dem Friedenspreis der Geschwister-Korn-und-Gerstenmann-Stiftung geehrt.

Der »Liebling der Medien«, wie es Salomon Korn, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und Mitglied des Vorstandes der Geschwister-Korn-und-Gerstenmann-Stiftung formulierte, genieße mehr Sympathie und Vertrauen als jeder andere israelische Politiker oder Diplomat. Daher ignoriere es die deutsche Öffentlichkeit auch geflissentlich, dass Primor seit 13 Jahren nicht mehr der Botschafter Israels in Deutschland sei. Noch immer gelte er als der Repräsentant Israels schlechthin.

Golda Meir Sechs Jahre, von 1993 bis 1999, hatte der gebürtige Tel Aviver das Amt inne: »Durch meine Äußerungen habe ich mich so oft bei meinen Vorgesetzten unbeliebt gemacht, dass ich mich mehr als ein Mal gewundert habe, dass man mich nicht des Amtes enthob«, erinnerte sich Primor in seiner Dankesrede. Den ersten »Schimpfbrief« habe er bereits als junger Diplomat bekommen, berichtete der mittlerweile 77-Jährige stolz: »Handgeschrieben von Golda Meir. Ich werde ihn für immer aufheben.«

Für diese, den israelischen Regierungen häufig unbequeme und bisweilen auch unpopuläre, aber immer unbeugsame Offenheit dankte Salomon Korn dem Preisträger. Denn sie habe dazu beigetragen, dass es mittlerweile zum »legitimen Alltag gehöre«, als Jude in Deutschland zu leben. »Auch für mich war das lange Zeit undenkbar«, sagte Primor und griff damit den ersten Satz aus seiner 1999 erschienenen Autobiografie ... mit Ausnahme Deutschlands auf: »Schon in meiner Kindheit war mir klar, dass ich mit Deutschland nie etwas zu tun haben, mit Deutschen weder verkehren noch sie überhaupt jemals kennenlernen würde.« Primors Mutter, Selma Goldstein, war 1932 von Frankfurt nach Tel Aviv emigriert. Ihre gesamte Familie wurde im Holocaust ermordet.

erste Begegnung Kurz vor seinem offiziellen Amtsantritt als Botschafter besuchte Primor erstmals das »Land der Täter« – und lernte dabei, zu seiner eigenen Verwunderung, dass er sich, auch als Jude, im Heimatland seiner Mutter wohlfühlen könne. Diese erste Begegnung mit Deutschland – unter anderem beim Deutsch-Intensivkurs am Mannheimer Goethe-Institut – bestimmte sein künftiges Denken und Handeln: »Frieden ist nur durch Verständigung möglich«, ist Primor überzeugt.

Mit welchem Elan er seine Überzeugung lebt und in die Öffentlichkeit trägt, arbeitete seine Laudatorin, die Journalistin und Fernseh-Moderatorin Maybrit Illner, heraus. Als Beispiel nannte sie das »Center for European Studies« in Düsseldorf, in dem sich Israelis, Palästinenser und Jordanier näherkommen, indem sie über Europa anstatt über ihre eigene Geschichte diskutieren. »Anfänglich haben alle Hemmungen im Miteinander«, weiß Primor. »Aber sie haben ja ein gemeinsames Thema: Europa. Und plötzlich entdecken sie den Menschen im anderen – und dass ihr Gegenüber gar kein Gespenst ist.«

Lernfähig Auf diese Erkenntnis- und Lernfähigkeit baut Primor, wenn es Israel und seinen Nachbarn irgendwann gelingen sollte, Frieden zu schließen. Denn der Frieden werde zwar von Politikern geschlossen, könne aber nur von der Bevölkerung bewahrt werden.

»Napoleon hat einmal gesagt: ›Man kann alles mit Bajonetten erreichen. Nur darauf sitzen kann man nicht‹. Genau das versuchen wir aber«, kritisierte Primor die häufig im Freund-Feind-Denken verharrende Militärpolitik Israels. Israel sei ein anerkanntes Hochtechnologieland mit enormem ökonomischen Potenzial, das aber nur Bestand haben könne, wenn im Nahen Osten Frieden herrsche. Und der werde nur kommen, »wenn die Palästinenser in Würde leben wie wir, und wenn die palästinensischen Kinder dieselben Chancen haben wie wir«.

Hilfe Er zweifle nicht am Willen der Völker, Frieden zu schließen, betonte Primor. Aber er verzweifle an der Fähigkeit der Regierungen, diesen umzusetzen und zu garantieren. Daher fordere er internationale Hilfe – auch die von Deutschland. Illner lobte Primor dafür, dass er »die Sisyphos-Arbeit der Friedensförderung« mit unvermindertem Elan weiterleiste, obwohl die derzeitige Instabilität in Nahen Osten auch einen diplomatieerprobten Friedenskämpfer zur Verzweiflung bringen könne.

Das viele Lob war dem Preisträger offenbar nicht ganz geheuer. »Man merkt, dass Sie keine Schwaben sind«, warf er spitzbübisch ein, »denn die sagen: ›Nicht geschimpft ist Lob genug‹«. Er selbst könne in seiner Arbeit nichts sonderlich Bemerkenswertes sehen: »Ja, ich kümmere mich um die Versöhnung«, sagte Primor lakonisch. »Aber ich mache das aus Egoismus. Ich bin ein Patriot der altmodischen Art.

Und ich bin Zionist. Dank des Zionismus bin ich überhaupt am Leben und ohne Komplexe über mein Jüdischsein aufgewachsen«, resümierte er am Schluss des Festakts: »Ich will einen jüdischen Staat – und ich will, dass er dauerhaft überlebt. Da bin ich im Moment aber leider nicht so sicher.« Wieder so ein Primorscher Kommentar, für dessen ungeschminkte Offenheit ihm so manch verbohrter Hardliner sicher gerne einen »Schimpfbrief« schriebe.

Frankfurt/Main

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