Was früher eher leise und im Stillen gepflegt wurde, hat in den vergangenen Jahren einen immer größeren Stellenwert in der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) eingenommen – das Schachspiel. Die Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion haben »ihren« Sport mitgebracht und pflegen ihn. Zahlreiche Pokale in Vitrinen im Gemeindezentrum erzählen von den deutschlandweiten Turniererfolgen der Münchner Spieler. Das macht Schule und findet mehr Anhänger.
Bester Beweis dafür war kürzlich das große Jonathan-Simon-Schachturnier unter dem Motto »Schach & Matt – Geistige Fitness für Groß und Klein«. Einen ganzen Tag lang konzentrierten sich Spieler von sechs bis 99 Jahren bei dem königlichen Spiel. Eingeladen dazu hatten das Jugendzentrum Neshama, die Sozialabteilung der IKG München und der TSV Maccabi München, unterstützt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Pünktlich zum Start um 10 Uhr vormittags begrüßte Präsidentin Charlotte Knobloch die Schachspieler, unter ihnen die beiden Schwestern des im Sommer tödlich verunglückten Jonathan Simon, die ebenfalls am Turnier teilnahmen.
Familie »Dieses Turnier ist seinem Andenken gewidmet«, sagte Charlotte Knobloch. »Für einen kurzen Moment durchbrechen wir die Freude und das Glück dieses Tages, wir halten einem Moment inne und erinnern uns an diesen jungen Menschen, der immer wenn ich ihn gesehen habe, gestrahlt hat. Der fest eingebunden war in den Kreis seiner Familie und seiner Freunde.
Der noch so viel vorhatte und dem die Welt offen stand. Wir alle können heute nur noch eines für Jonathan Simon sel. A. tun. Wir können an Tagen wie heute die Erinnerung an ihn wach halten und damit auch die Erinnerung an die Botschaft, die er uns überlassen hat: ›Liebe das Leben und lebe das Leben! Mache etwas aus deinem Leben – für dich, aber auch für die Menschen in deiner Umgebung.‹«
Simon sel. A. habe so gerne an diesem Turnier teilnehmen wollen. Dass er dies nun nicht mehr könne, bedeute aber nicht, betonte Charlotte Knobloch bei der Eröffnung, »dass wir heute ohne ihn spielen. Er ist im Geiste unter uns. Denn er hat uns unglaublich viel hinterlassen: Seine Freude an den Wundern der Natur, seine Freude am Leben, seine Liebenswürdigkeit, seine Freundschaft und seine Neugier, sein berechtigter Wille, immer etwas Neues kennenzulernen. Seine Hoffnung auf ein glückliches Leben. Diesen Lebensmut dürfen wir alle in unseren Herzen tragen.«
Jonathan hat vergangenes Jahr zum ersten und tragischerweise letzten Mal in seinem Leben an einem Turnier teilgenommen. Durch seine kleine Schwester Jaden, die in der Sinaischule an einem Schachkurs teilnahm, hatte er im Vorjahr erfahren, dass ein Wettkampf von der IKG stattfinden wird.
Begeisterung Marat Schlafstein, der Leiter des Jugendzentrums, erinnert sich noch genau an Jonathan, der ganz aufgeregt und freudig bereits um kurz vor 9 Uhr morgens als Erster vor der Eingangshalle stand. Drei Jahre zuvor hatte er seine Begeisterung für Schach entdeckt und wollte nun dieses Mal unbedingt dabei sein. Seine Mutter Ronit erinnert sich an die Schachspiele Jonathans mit seiner Schwester: »Es machte uns viel Spaß ihnen zuzusehen.«
Mit seinem Turnierergebnis beim zurückliegenden Wettkampf sei er allerdings nicht zufrieden gewesen. Er hätte schon viel früher, als Kind schon, mit diesem Spiel anfangen sollen, habe er gemeint. Bei diesem Turnier wollte er den erfahrenen russischen Spielern, die er bewunderte, »ein würdigerer Gegner« sein – das war sein Vorsatz.
Die Teilnahme war ihm überaus wichtig, wie die Mutter berichtet: »Mehrmals fragte mich mein Sohn, der damals im Ausland war, wann wieder das Turnier stattfinden wird. Ich musste ihm versprechen ihn sofort zu informieren, damit er es sich einrichten könne, da er nicht in München lebte.«
Hatte Jonathan im vergangenen Jahr noch bedauert, dass relativ wenige Jugendliche da waren, so kamen dieses Mal sehr viel jüngere Spielerinnen und Spieler, Familie und Freunde von Jonathan. Nur er selbst fehlte. Im Geiste, da waren sich alle, die ihn gekannt hatten einig, war er aber an diesem Tag doch dabei.
Das Turnier, das weiterhin jährlich in der Gemeinde stattfinden soll, trägt nun seinen Namen. Jonathans Mutter und und sein Stiefvater unterstützten das Jonathan-Simon-Schachturnier mit Rat und Tat und setzten dem geliebten Sohn auf diese Weise ein kleines Denkmal.
Medaille Sie sponsterten auch die Preise und die Pokale, auf denen Jonathans Name eingraviert ist. Überreicht wurden sie von seinen beiden jüngeren Schwestern. Jeder Spieler bekam zudem von den Mädchen eine Medaille – ein berührender Moment auch für die Schachmeister, die schon viele Pokale nach Hause gebracht hatten.
Eine besondere Ehrung gab es darüber hinaus für den jüngsten und für den ältesten Teilnehmer. Wer Schach mit Gleichgesinnten üben oder das Spiel erlernen möchte, kann dies jeweils donnerstags und sonntags im Jugendzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde tun. Das gilt für jüngere und ältere Menschen, die bei diesem Sport mit viel Spaß und mit Leidenschaft bei der Sache sind.