Turbulent, um- und zugebaut wirkt die Chemnitzer Innenstadt. Doch im Schatten neuer Prestigebauten, Hotels und Parkhäuser konnte sich auch bodenständige Kunst behaupten – und neue kommt ständig hinzu. Einen Steinwurf vom Alten Rathaus entfernt, lädt die von russisch-jüdischen Künstlern betriebene Galerie artECK jeden Nachmittag in der Woche zum (Mit-)Malen, Staunen, Diskutieren oder einfach nur zum Tee- oder Kaffeetrinken ein. »Zu uns kommen Erwachsene, Jugendliche und Kinder, Einheimische und Immigranten. Berührungsängste erleben wir eher selten«, verrät Boris Ostrovsky, Werbegrafiker, Maler und Zuwanderer aus dem ukrainischen Dnepropetrowsk. In einem der Galeriefenster steht sein farbenprächtiges Bild Die Himmelsleiter. An den Zimmerwänden fallen originelle Stadtszenen, Porträts und Aquarelle wie »Bar Mizwa« und »Der Toraschreiber« auf.
Seite an Seite mit Ostrovsky arbeitet der Oleg Monin. Er malt seine Bilder am liebsten in melancholischen Farbtönen und stattet sie mit lebensfrohen Figuren aus. Auf Monins Bildern treffen sich Casanova und Mozart, Engelsfiguren erscheinen sehr irdisch, und nicht nur das Bild »Schabbat in Venedig« lässt Anklänge an Marc Chagall, den großen Farbpoeten und Schtetl-Maler, erahnen.
nehmen und geben Ostrovsky und Monin sind Mitglieder des 2005 gegründeten Vereins »Beseder«, der der Galerie artECK auf die Beine half. Sie kooperieren eng mit der jüdischen Gemeinde, mit der deutsch-jüdischen Begegnungsstätte »Schalom« und dem Kulturdezernat der Stadt. »Wir helfen ihnen, und sie helfen uns«, bringt es der ebenfalls aus Dnepropetrowsk stammende Holzschnitzer und Intarsienmeister Igor Slutsky auf den Punkt.
Tatsächlich scheint den Aktivisten von »Beseder«, was etwas frei mit »alles okay« übersetzt werden kann, eine ungewöhnliche Mischung aus Experimentierfreude und öffentlichem Engagement eigen. Als die Jüdische Gemeinde Chemnitz im vergangenen Jahr ihr 125-jähriges Jubiläum feierte, organisierten sieben der Vereinsmitglieder, unter ihnen auch Fotokünstler und Seidenmaler, eine vielbeachtete Ausstellung im Foyer der Synagoge.
Im artECK wiederum bieten die Künstler Erwachsenen und Kindern Malunterricht zu eher symbolischen Preisen und in ausgesprochen zwangloser Atmopshäre an. »Wer hier kreativ sein möchte, bestimmt Zeit und Umfang selbst«, sagt Boris Ostrovsky. »Manch einer arbeitet unter Anleitung für eine halbe Stunde, möchte dann lieber einen Tee trinken, sich unterhalten und später weitermachen. Das ist in Ordung so. Wir helfen gern, aber wollen nicht belehren. Das artECK ist Galerie und Werkstatt, aber keine Kunstschule.«
Angebote Doch nicht alles, was die Künstler von Beseder organisieren, spielt sich in der Werkstatt oder in der jüdischen Gemeinde ab. Einladungen ergehen von anderen Galerien und Künstler-Cafés, und nicht selten treten die Immigranten mit eigenen Ideen an die Kommune heran. Olga und Slawa Potievsky, ein Künstlerehepaar aus Kiew, gelten als Meister floraler Darstellungen. Während Olga Blumenmeere auf Seide zaubert, tupft Slawa auf Leinwand – oder er fängt Naturszenen mit seiner Digitalkamera ein und verfremdet die Bilder anschließend auf dem Computer. »Ein Feld von Sonnenblumen erfreut jeden«, sinniert Slawa Potievsky, »aber jeder mag es mit ganz eigenem Blick empfinden.« Gemeinsam bereitet das Paar gerade eine Wanderausstellung mit Blumenmotiven vor, die ab Frühjahr in verschiedenen Chemnitzer Kliniken gezeigt werden soll.
Wer sich aufmerksam die Kunstwerke im artECK ansieht, wird bemerken, dass er auf ihnen immer wieder jüdische Motive und Symbolik entdecken kann. Vorrangig sehen sich die Neu-Chemnitzer aber als Exponenten einer universalen Kunst, die Menschen mit unterschiedlichem Background zusammenbringt. Religion sei etwas Großartiges, meint etwa der Holzschnitzer Igor Slutsky, »aber das Entscheidende daran bleibt Toleranz«. Slawa Potievsky pflichtet ihm entschieden bei: »In jeder Religion sollten Liebe und Schönheit groß geschrieben werden, und damit kann auch unsere Kunst viel anfangen.«
Vision In der einstigen Industriemetropole Chemnitz staunte man anfangs nicht schlecht über diese Kolonie zugewanderter osteuropäischer Künstler. Mitte der 90er-Jahre ließen sie sich hier nieder, blieben all die Jahre über zusammen und brachten der lokalen Szene längst mehr als ein paar inspirierende Ausstellungen ein. Vor einigen Jahren reagierte die Stadt und stellte Beseder Räumlichkeiten für ihre Galerie mietfrei zur Verfügung. Die kreativen Immigranten bedankten sich 2010 unter anderem mit einer internationalen Ausstellung dafür und nannten sie »Künstler in Chemnitz – zu Gast & zu Hause«.
Doch das soll laut Vereinsvorsitzendem Ilja Kogan erst der Anfang sein: »Unsere Vision ist der Ausbau eines Hauses in der City, das auf verschiedenen Stockwerken künstlerisch bespielt wird. Eine Etage wäre denkbar für Dauer-Präsentationen, eine zweite für kontinuierliche Kursangebote, eine dritte für das Künstler- und Begegnungscafé. Jeder wäre hier herzlich willkommen, und nur der Himmel das Limit.«
www.arteck-galerie.de