Von außen betrachtet macht sie ihrem Namen noch alle Ehre, die Alte Synagoge in Essen. Beinahe 40 Meter hoch ist der imposante Kuppelbau, freistehend dominiert er den Platz in der Essener Innenstadt. Ehrfürchtig und staunend steht der Besucher vor den Stufen, dann vor den Stahltoren – bis Edna Brocke kommt und die schweren Platten zur Seite schiebt. »So soll das aussehen, wenn wir geöffnet haben«, sagt sie freudestrahlend und tippt auf die Glastüren, die zum Vorschein kommen. »Dann kann man noch von da hinten erkennen, dass hier Licht brennt.«
Mit ausgebreiteten Armen steht die Leiterin der Alten Synagoge da, als wolle sie den Vorplatz und ganz Essen umfassen. Das soll ihr mit dem Haus jüdischer Kultur auch gelingen, am Dienstag wurde es in der Alten Synagoge eröffnet.
durchblick Im Inneren des Bauwerks aus der Vorkriegszeit kann von alt keine Rede mehr sein. Schon das Foyer ist luftig und von weißem Licht durchflutet. Der Empfangstresen ist indirekt beleuchtet, an ihm vorbei schieben sich die Besucher in den Hauptraum. Der wirkt im ersten Moment so, als hätte sich die Einrichtungskolonne eines Privatsenders darüber hergemacht. Apricotfarben strahlen die Wände, das Innere der Kuppel leuchtet in einem hellen Lila. Richtig leer ist es, abgesehen von ein paar Glasvitrinen. So versperrt allerdings auch nichts den zweiten Blick auf die Alte Synagoge, die dann durch ihre Weite, durch die großen Fenster und den Zusammengang der modernen Gestaltung mit den alten Mauern ihren Charme entfaltet. Bewusst habe man in der unteren Etage des Hauptraums sehr viel Platz gelassen, erklärt Edna Brocke. »Der gesamte Raum soll offen wirken.«
So sieht kein Museum aus. »Der Begriff wurde auch bewusst vermieden«, sagt später Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, Staatssekretär für Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen. Während des offiziellen Teils der Eröffnung lobt er, in Gegenwart von Bundestagspräsident Norbert Lammert, die Mischung im Haus jüdischer Kultur. Moderne, zeitgenössische Kultur, gesungenes und gesprochenes Wort, Tanz, aber auch die Geschichte hätten hier ihren Platz.
»Wisse, vor wem du stehst«, mahnt auf Hebräisch ein funkelndes Mosaik über dem ehemaligen Toraschrein. In einer Ecke kann man die Namen Essener Juden lesen, die von den Nazis ermordet wurden. Sonst gibt es an dieser Stelle kaum Neues zu entdecken und noch viel weniger Altes. Historisierend und originalgetreu wurde hier nichts aufgearbeitet. »Das hätten wir auch gar nicht machen können, selbst wenn wir es gewollt hätten«, betont Edna Brocke. Denn es lagen nur vage Beschreibungen und Schwarz-Weiß-Fotos vor. »Und was soll man mit der Aussage anfangen, dass die Wände blau waren und die Fenster einen großen Rotanteil hatten«, fragt die Leiterin. Man wollte nach vorne blicken, in eine jüdische Zukunft. »Aber wir haben auch die Verbindung zur Vergangenheit.«
Ein klassisches jüdisches Museum findet man in Essen allerdings nicht. »In Berlin haben sie ein neues Gebäude vollgestopft mit alten Inhalten. Wir haben ein altes Gebäude mit neuen Inhalten«, erzählt Edna Brocke. Paul Spiegel habe sich stets gewünscht, dass man aus der Alten Synagoge ein Museum machen würde. In Essen wehrte man sich dagegen, die Leiterin des Hauses allen voran. Man wollte ein Pendant zu Berlin schaffen und zum lebendigen Gemeindezentrum in München, aber komplementär, als Dreiklang der jüdischen Kultur.
Aufklärung Edna Brocke kann es kaum erwarten, die Besucher durch die Alte Synagoge zu führen. Schnell geht sie voran, steigt eine Treppe hinauf, die es vor Kurzem noch gar nicht gab – anstelle des Treppenhauses war hier ihr Büro. Wer wäre Edna Brocke, wenn sie dem auch nur eine Sekunde nachhängen würde? Auf der Frauenempore angekommen steht sie schmunzelnd zwischen den Informationsstationen. Ein Laufband und eine Kassenanzeige belehren unterhaltsam über koschere, fleischige und milchige Lebensmittel. In einem Kabinett werden Schatten auf eine Leinwand geworfen, mit denen man jüdische Tänze lernen kann. Ein Superman-Shirt, bei dem das Logo in einen Davidstern eingebettet ist, spannt sich über einem Plastikkörper. »Wir brauchen keine teuren, alten, silbernen Ausstellungsstücke«, sagt Brocke und scheucht die Gruppe von Würdenträgern, Architekten und Journalisten freundlich weiter.
Moderne Auch Essens Oberbürgermeister Reinhard Paß folgt ihr durch das Gebäude und stimmt den Ausführungen gerne zu. »In diesem Haus soll mit modernen, zeitgemäßen und bisweilen witzigen und humorvollen Mitteln Neugier wachsen«, wünscht er sich. Während der Eröffnungsfeier schließt sich auch Dieter Graumann dieser Hoffnung an. »Das jüdische Leben wird wieder ein Stück jünger, kräftiger, farbiger«, erklärt der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Bei allem Erinnern dürfe man sich nicht auf den Holocaust beschränken, wenn es um das Judentum ginge. »Es gibt viel mehr zu erzählen«, unterstreicht Graumann die Bedeutung des Hauses der Kulturen. »Kultur bindet und verbindet die Menschen.«
Beschränkungen sind auch nicht Edna Brockes Sache. »Wir wollen nicht die eine gültige Sichtweise auf das Judentum vermitteln«, sagt sie. »Wir wollen die komplexe und komplizierte Vielfalt zeigen.« In einem anderen Raum gibt es zwar auch eine Torarolle und eine Chronologie zu entdecken, die Geschichte der Alten Synagoge kann über Touchscreens verfolgt werden – die Pflicht ist erfüllt. Doch die Kür ist, »dieses Augenzwinkern zu zeigen. Das findet man überall im Judentum, denn es ist eben eine vielfältige und offene Angelegenheit.«