Der Wiener Oberkantor Shmuel Barzilai ist ein Netzwerker der besonderen Art. Als er im November 2017 anlässlich des Jubiläumsfestes »Wir alle sind Gemeinde« wieder einmal in München war, hatte er neben seinen Noten die Pessach-Haggada seiner Frau Dvora im Gepäck.
Es gebe zum einen das von ihr illustrierte Buch, sagte er, darüber hinaus aber noch gerahmte Arbeiten, wunderbar geeignet für eine Ausstellung. Im Herbst 2018 passte alles. Vom Europäischen Tag der jüdischen Kultur bis zur Finissage schmückten 44 Bilder von Barzilai das Gemeindefoyer. Zur Finissage kam das Künstlerpaar nach München.
Anita Kaminski, Vorsitzende der Kulturkommission im Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde, freute sich, endlich die Frau an der Seite des weltweit auftretenden Oberkantors kennenzulernen. In ihrer Einführung skizzierte sie die Lebensläufe der beiden, die sich in Israel kennengelernt hatten und 1992 gemeinsam nach Wien zogen.
rüstzeug Wenn man sein Heimatland verlässt und – wie in diesem Fall – kein Deutsch spricht, ist es schwierig, Fuß zu fassen. Durch die Beschäftigung mit Musik und Kunst nimmt man aber ein universell funktionierendes Rüstzeug mit. Anita Kaminski wollte es genau wissen und befragte die Künstlerin, die sich sonst in Acryl, Pigmenten, Eitempera, Buntstiften und Airbrush ausdrückt. Sie nahm ihr die Scheu, indem sie gleich auf ihre Lieblingsmotive aus der Pessach-Haggada-Serie zu sprechen kam: den Auszug aus Ägypten, »ein Grundthema jüdischer Geschichte«, und den »Sehnsuchtsort Jerusalem«.
Mithilfe ihrer Erläuterungen erschließt sich der Subtext der Arbeitsweise von Dvora Barzilai. Die 57-jährige Künstlerin, die malt, seit sie denken kann, wählte für ihr Jerusalem-Bild Goldtöne, die von ihr entwickelte Buchstaben-Typografie ist vom Aramäischen inspiriert. Die Taube, die sich darüber erhebt, symbolisiert Frieden und Freiheit. Auf die Frage, ob es schwierig sei, in Österreich zu leben, entgegnete die Künstlerin, sie habe nur gute Erfahrungen gemacht, obwohl sie sich stets als Jüdin zu erkennen gebe. Dabei räumte sie ein: »Ich lebe in der Diaspora, dennoch fühlen wir uns wohl.«
religion Ihre Themen findet Barzilai in der jüdischen Religion, wofür sie einen charakteristischen abstrakten Stil gefunden hat, und in Auftragsarbeiten für Gedenkstätten. Ende Oktober beispielsweise reist sie für den Österreichischen Kulturfonds nach Israel und realisiert eine Ausstellung in Tel Aviv.
Anschließend bedankte sich Oberkantor Barzilai für die Gastfreundschaft der Münchner Kehilla mit einem Konzert. Die Mischung aus religiöser Liturgie sowie jiddischen und hebräischen Evergreens begeisterte das Publikum. Wenn Profis wie Shmuel Barzilai, Chorleiter David Rees und die Musikpädagogin und Pianistin Luisa Pertsovska aufeinandertreffen, genügt eine Probe am Nachmittag, um abends ein vollkommenes Programm präsentieren zu können.
repertoire Herzergreifend waren die »Sse’u Sche’arim«, der Psalm 24, und »Awinu Schebaschamajim«, das seit 1948 als zentrales Gebet für den Bestand des Staates Israel eingeführt wurde. Neu im Repertoire war die komische Einlage »Chasonim ojf Probe«, mit der Barzilai das Probesingen dreier sehr unterschiedlicher Kantoren persiflierte. Die chassidische Art beherrschte er ebenso wie die westjüdische und den swingenden Jazz-Sänger.
»Es ist nit, wos dos Publik will!«, heißt es im Refrain. Was der Wiener Oberkantor darbot, war jedoch ganz und gar das, was das Publikum wollte und mit Riesenapplaus beantwortete. So kamen die Münchner Musikliebhaber binnen weniger Tage mehrfach in den Genuss kantoraler Musik, hatte doch das »Jewish Chamber Orchestra Munich« am Sonntag zuvor im Prinzregententheater mit einem Sängerwettstreit zwischen einem amerikanischen und einem israelischen Kantor, aus dem beide als Sieger hervorgingen, beeindruckt.