Als Michael Joachim das erste Mal an einem Gottesdienst in der Synagoge Fraenkelufer teilnahm, wusste er auf Anhieb, dass er dort Beter bleiben wird. »Die Atmosphäre war einfach toll, ich war von dem damaligen Kantor Salomon Almekias-Siegel begeistert und vor allem von der Art des Gottesdienstes«, sagt er.
Denn da der konservative Ritus oft ohne Rabbiner stattfindet, sei es ein Ritual, dass die Beter ihn mitgestalten. »Das ist sogar erwünscht.« Joachims erster Gottesdienst in der Kreuzberger Synagoge ist nun mehr als 25 Jahre her. Mittlerweile hat Michael Joachim in diesem Gotteshaus unter der Chuppa gestanden, gehört dem Synagogenvorstand an und ist derzeit Vorsitzender der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.
Gotteshaus »Ein weiteres besonderes Merkmal unserer Synagoge ist es, dass wir uns anderen öffnen«, sagt Kultusdezernent Grigorij Kristal. So wird beispielsweise bei den Stadtralleys für Jugendliche mit Migrationshintergrund regelmäßig ein Stopp an der Tür gemacht und die Jugendlichen stellen den Betern ihre Fragen zur Religion und zum Gotteshaus. Mittlerweile sei noch eine private Organisation dazugekommen, die Touren durch Moscheen, Kirchen und eben die Synagoge Fraenkelufer anbietet.
Die Gottesdienste werden unterschiedlich stark besucht. »Ich bin manchmal erstaunt, wie viele Beter kommen, und dann gibt es Tage, an denen ich verwundert bin, wie wenig da sind«, sagt Kristal. Mittlerweile gebe es wieder jüngere Beter, die zum Schabbat den Gottesdienst besuchen, denn es seien mehrere Israelis nach Kreuzberg gezogen, die ihre Freunde gleich mitbringen.
»Einen Minjan am Freitagabend kriegen wir zusammen, nur am Schabbatmorgen nicht immer«, sagt Kristal, der seit 13 Jahren dort betet. Damals sei er neugierig auf die Synagoge geworden, da er immer viel von seinen Verwandten über sie gehört hatte. Seine Schwiegereltern hatten ihn überredet, die Barmizwa seines Sohnes dort auszurichten – und er blieb.
Geschichte Etliche jüdische Geschäfte hatte es vor der Schoa in dem Kreuzberger Kiez gegeben. Ebenso wohnten damals viele in dieser Gegend. Als die Synagoge gebaut wurde, gab es Platz für 2.000 Beter. Nach der Schoa kamen Beter, die sich in der Stadt und den Wäldern versteckt hatten, Bewohner der DP-Camps, es kamen Flüchtlinge von Transportzügen und Todesmärschen und Befreite aus Konzentrationslagern, so Joachim.
Zusammen prägten sie nun die Gottesdienste. Mittlerweile gebe es kaum noch Juden, die in diesem Kreuzberger Kiez wohnen – und manche Beter nehmen heute einen langen Weg in Kauf, um zum Gottesdienst zu kommen. Die Beterschaft sei älter geworden. Erschwerend komme noch dazu, sagt Joachim, dass es zu wenig Platz in der Synagoge gebe, obwohl das Gelände selbst sehr groß sei.
Es seien keine Räume vorhanden, in denen beispielsweise eine Kinderbetreuung während der Gottesdienste angeboten werden könne. Es gibt nur die Synagoge, den Kidduschraum und die Zweizimmer-Wohnung des Hausmeisters. Mittlerweile prüft der Synagogen-Vorstand, ob der Dachboden ausgebaut werden könne, denn auch der Familienclub Bambinim hat eventuell Interesse, dort einzuziehen. Der Ausbau würde etwa 25.000 bis 30.000 Euro kosten. Und der Vorstand sei bereits dabei, das Geld aufzutreiben.
Ursprünglich saßen die Frauen auf der Empore. Lange Zeit gab es Diskussionen über eine Feuertreppe, für die immer Gelder fehlten. Mittlerweile ist eine Notrutsche eingebaut, sagt Kristall. Aber da die Beterinnen teilweise schon älter sind und nicht immer die Stufen hinaufgehen wollten, sitzen sie unten, allerdings getrennt von den Männern.
Zukunft Boris Ronis, im vergangenen Jahr ordinierter Rabbiner, amtiert entsprechend seinem Honorarvertrag jeden dritten Schabbat in der Synagoge, ansonsten ist er auch in der Pestalozzistraße und in der Rykestraße im Einsatz. »Wir freuen uns immer, wenn wir einen Rabbiner haben«, sagt Joachim.
Auch in der Rykestraße komme ein Minjan zustande, so Kristal, der regelmäßig als Kultusdezernent seine Runden macht. Kantor Oljean Ingster bekommt bei seiner Tätigkeit Unterstützung. Allerdings würden die Synagogen Rykestraße und Fraenkelufer derzeit über eine »übersichtliche« Beterschaft verfügen.
Und Gerüchte, dass sie zusammengelegt werden sollen, gibt es immer wieder. »Die Betriebskosten sind hoch, ebenfalls muss baulich alles in Schuss bleiben und die Versicherungen müssen bezahlt werden«, so Kristal. Ein Vorteil sei, dass die Häuser der Gemeinde gehören. Aber es sind eben Synagogen und man kann nichts anderes aus ihnen machen. In dieser Amtszeit, die in ein paar Monaten endet, wird es beim Gerücht bleiben.